Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 |
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Vorübergehenden Schließung der Ausstellung |
DER SPIEGEL 43/1999
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,50720,00.html
Zeitgeschichte Der Historiker Hannes Heer über die Kritik an den Fotos der Wehrmachtsausstellung SPIEGEL: Herr Heer, ein deutsch-polnischer und ein ungarischer Historiker üben massive Kritik an der Wehrmachtsausstellung. Muss sie komplett überarbeitet werden? Heer: Nein. Wir nehmen die Vorwürfe von Bogdan Musial und Krisztián Ungváry sehr ernst, aber bevor wir etwas ändern, müssen wir die Kritik prüfen. SPIEGEL: Worum geht es? Heer: Wir hatten in einem Archiv in Belgrad fünf Bilder gefunden, die eine Massenerschießung der 717. Infanteriedivision zeigen. Musial hingegen meint, dass ein Foto dieser Serie Opfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in Lemberg zeigt. Der NKWD hatte dort 1941 beim Anrücken der deutschen Truppen 4000 Gefangene liquidiert. Das eine Foto werden wir jetzt überprüfen. Im Fall Zloczów können wir Musial allerdings nicht ganz folgen. SPIEGEL: Wieso nicht?
Heer: Der Vorgang ist kompliziert, wie der SPIEGEL selbst
Anfang des Jahres berichtet hat. Auch in Zloczów bei
Lemberg ermordete der NKWD im Juni 1941 einige hundert
Gefangene, als die deutschen Truppen näher kamen. Die
Deutschen zwangen die Juden Zloczóws, die NKWD-Opfer
auszugraben; anschließend wurden die Juden von der SS
erschossen. Das war der Auftakt zu einer systematischen
SS-Mordaktion, von der Wehrmacht geduldet, der 3000 Juden
zum Opfer fielen.
Heer: Wir hatten ursprünglich drei Bilder, von denen wir
glaubten, sie zeigten die ermordeten Juden. Musial aber
hält sie für die NKWD-Opfer. Wir haben jetzt fünf weitere
Fotos gefunden, sie sind bereits in der Ausstellung zu
sehen, die gerade in Osnabrück gezeigt wird. Zwei unserer
Fotos zeigen tatsächlich die ermordeten Juden, zwei andere
zeigen die Juden beim Exhumieren der Leichen der
NKWD-Opfer, auf zwei Fotos sind beide Opfergruppen zu
erkennen, und zwei Aufnahmen dokumentieren den Mord des
NKWD.
Heer: Das ist absurd. Da übernimmt Ungváry ohne den
Versuch eines Beweises eine alte Rechnung von
rechtsextremen Pamphletisten.
Heer:Wenn wir retuschierte Bilder fanden, haben wir sie
aussortiert. Möglicherweise ist das Exemplar, das Ungváry
vorlegen will, retuschiert.
Heer: Da kann ich nur zustimmen. Wenn ein Massaker der SS
im Befehlsbereich der Wehrmacht geschah, dann weiß man: Die
Wehrmacht war informiert. In Bjelaja Zerkow bei Kiew hingegen weigerte sich
Generalfeldmarschall Walter von Reichenau, ein Massaker an
jüdischen Kindern zu verhindern, nachdem der Oberstleutnant
Helmuth Groscurth die SS gestoppt hatte. Reichenau hob
Groscurths Befehl einfach auf, und das Morden begann. Das
ist eine klare Beteiligung, auch wenn der Mordbefehl nicht
von der Wehrmacht kam. Und es gab auch das zeigt die
Ausstellung Exekutionen, die die Wehrmacht
eigenverantwortlich durchführte.
Heer: Die Ausstellung spiegelt den Forschungsstand von 1995
wider. Ich kann Ihnen Museen der Bundesrepublik nennen, in denen noch heute von uns korrekt zugeordnete Fotos
mit falschen Bildlegenden hängen. Das zeigt, in welchem
Zustand sich die Geschichtswissenschaft hinsichtlich der
Zuordnung der Bilder jahrelang befunden hat.
Heer: Uns ist erst in den Auseinandersetzungen über die
Ausstellung dieses Defizit deutlich geworden. Als wir 1997
allein für ein Bild in Archiven und Publikationen fünf
verschiedene Zuschreibungen fanden, fingen wir, unterstützt
durch Hinweise von Besuchern, mit der kritischen
Aufarbeitung an.
Heer: Nach dem Stand von 1995 kann ich mir da keinen
Vorwurf machen. Wir haben, wenn wir ein
Wehrmachtsverbrechen mit Dokumenten belegt hatten, nach
Bildern gesucht, die der Bildlegende zufolge dieses
Verbrechen zeigen.
Heer: Das räume ich ja sofort ein. Wir konnten zum Beispiel
das Pogrom an 600 Juden in Tarnopol, bei dem nachweislich
auch Wehrmachtseinheiten beteiligt waren, rekonstruieren.
Dann haben wir in einem renommierten Wiener Archiv vier
Bilder aus Tarnopol mit der Aufschrift "Judenpogrom"
gefunden. Die haben wir der Dokumentenrecherche
hinzugefügt. Inzwischen wissen wir, dass drei Bilder
politische Gefangene zeigen, die der NKWD ermordet hat, als
die deutschen Truppen näher kamen. Ein Foto stellt die dann
ermordeten Juden dar.
Heer: Wir haben eine neue Texttafel in Auftrag gegeben.
Heer: Das stimmt doch gar nicht. Wenn Kritik geäußert
wurde, sind wir dem mit Errata-Zetteln im Katalog
nachgekommen, haben Bilder ausgetauscht und Bildlegenden
überarbeitet.
Heer: Ohne die Porträtfotos sind 800 Bilder in der
Ausstellung zu sehen, 3 haben wir bisher herausgenommen.
Heer: Wir haben in viereinhalb Jahren 12 Prozesse durchgeführt. Alle betrafen Falschaussagen, keiner ging gegen abweichende Meinungen vor. Die Klage gegen Müller haben wir inzwischen zurückgezogen, und der Rechtsstreit mit Musial ist erledigt. Wir haben ihn übrigens schon im Frühjahr, nachdem der SPIEGEL über seine Kritik berichtet hatte, eingeladen, seine Recherchen zu präsentieren. Die Einladung habe ich jetzt erneuert. INTERVIEW: KLAUS WIEGREFE
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,50720,00.html
© DER SPIEGEL 43/1999
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