Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944
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Presseschau: Vorübergehenden Schließung der Ausstellung
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Süddeutsche Zeitung vom 25. November 1999

Die Rechten und die Selbstgerechten

Warum die Wehrmachtsausstellung der guten Sache mehr geschadet als genutzt hat  /  Von Bogdan Musial

Keine Ausstellung hat Deutschland so aufgewühlt wie die von Hannes Heer geleitete und vom Hamburger Institut für Sozialforschung finanzierte Dokumentation „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Sie wurde bejubelt und zu einem der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der deutschen Vergangenheitsbewältigung hochstilisiert. Einige Historiker verliehen der Ausstellung das wissenschaftliche Glaubwürdigkeits-Attest – offenkundig ohne sich mit der Ausstellung inhaltlich auseinander gesetzt zu haben. Kritische Stimmen wurden nicht gehört – Eberhard Jäckel beispielsweise, der sagte, die Ausstellung „will provozieren statt zu informieren“.

Der Bundestag erhob die Ausstellung in den Rang eines nationalen Ereignisses. Kritik wurde tabuisiert. Ein Militärhistoriker erklärte nach dem Bombenanschlag in Saarbrücken: „Die Leute, die sich bislang aus durchaus ehrbaren Motiven gegen die Ausstellung gewandt haben, müssen sich jetzt fragen, in welchem Lager sie eigentlich stehen“.

Seit kurzem ist das Tabu gebrochen. Wissenschaftlich fundierte Kritik bewirkte, was Proteste und Demonstrationen, Petitionen und Politiker nicht vermochten: Man nahm voller Bestürzung wahr, dass die Ausstellung der Überprüfung durch die Wissenschaft nicht standhalten kann; zu viele Fotos zeigen keineswegs das, was sie zu zeigen vorgeben.

Der Skandal ist perfekt. Focus triumphiert mit Schlagzeilen wie „Demontage der Dilettanten“. Jörg Friedrich schreibt vom „Ende der Legende von der sauberen Wehrmachtsausstellung“. Die noch vor kurzem hochmütigen Ausstellungsmacher sind kleinlaut geworden, Wehrmachtssoldaten verlangen Entschuldigung, die Rechten jubeln. Endlich kommen Kritiker zu Wort; es mehren sich die Stimmen, die empfehlen, die Ausstellung endgültig zu schließen.

Rolf-Dieter Müller vom Militärischen Forschungsamt Potsdam schlägt vor, die Ausstellung in der alten Form sowie das Buch von Goldhagen und die Entwürfe fürs Holocaust-Mahnmal im Museum der Geschichte der Bundesrepublik zu zeigen: „Diese Exponate können dann spätere Generationen darüber aufklären, welche Probleme die Deutschen in den späten 90er Jahren damit gehabt haben, sich mit ihrer Geschichte auseinander zu setzten.“ Ein polnischer Historiker schreibt sogar von einem historischen Schwindel.

Andere Kommentatoren halten dagegen, die Ausstellung habe unbestreitbare Verdienste, sie habe „eine wichtige öffentliche Debatte über die Rolle der Wehrmacht im deutschen Vernichtungskrieg angestoßen.“ Schon entsteht eine neue Legende: Eine unseriöse Ausstellung habe etwas Positives bewirkt. Kann eine falsche Ausstellung richtig sein? Heiligt tatsächlich der Zweck die Mittel?

Es ist ein Euphemismus, diese Auseinandersetzung eine „öffentliche Debatte“ zu nennen; denn sachliche Argumente spielten in dieser „Debatte“ kaum eine Rolle. Kennzeichnend waren eher gewalttätige Demonstrationen, Denunziationen, Rufmordkampagnen. Die Republik wurde in „erschütterte Befürworter und ewiggestrige Kritiker“ (Die Woche) geteilt. In diesem Klima war und ist eine sachliche Diskussion über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg kaum möglich.

Es ist geradezu grotesk, von ehemaligen Wehrmachtssoldaten ein „Schuldbekenntnis“ zu verlangen, wenn sie auf jenen Fotos, welche angeblich ihre Verbrechen dokumentieren, ganz andere Leute erkennen: beispielsweise finnische und ungarische Soldaten oder SS-Angehörige (diese Fälle sind spätestens seit 1997 bekannt). Auch sind viele Soldaten noch geistig fit genug, um sich an ihre Uniformen zu erinnern. Sogar eine deutsche Hausfrau konnte feststellen, dass auf zwei Aufnahmen finnische Soldaten zu sehen sind, und nicht Wehrmachtssoldaten, wie die Aussteller behaupteten. Um darauf zu kommen, braucht man nicht unbedingt, „die Forschung der letzten 30 Jahre zum Krieg im Osten und zur Entwicklung des Holocaust“ zu rezipieren, wie Christian Streit in der Zeit verlangt.

Hinzu kommt, dass Hannes Heer den deutschen Soldaten „Mordlust und Sadismus, Gefühlskälte und sexuelle Perversionen” pauschal unterstellt; dieses „Triebpotential“ hätten Millionen von deutschen Männern während des Krieges im Osten abreagiert. Seine Thesen belegt Heer mit „Aussagen“ und „Geständnissen“ deutscher Soldaten in sowjetischer Gefangenschaft, die vom NKWD erpresst wurden, und die zum Teil völlig abstrus sind. Ihr Wert als historische Quelle ist zweifelhaft.

Ist es dann verwunderlich, dass solche zum Teil grobschlächtigen Fehler und Entstellungen ehemalige Soldaten zu emotionalen Reaktionen verleitet haben? Die geradezu herausfordernde Haltung der Aussteller heizte die Emotionen zusätzlich an; diese weigerten sich nämlich in der Regel, falsch zugeordnete Fotos zu entfernen, Unstimmigkeiten auszuräumen. So weiß man spätestens seit 1997, dass das Tagebuch von Heidenreich vermutlich eine sowjetische Fälschung ist. Auszüge aus diesem Tagebuch finden wir unter den Textdokumenten in der Ausstellung (Katalog, S. 114, 130) und in Aufsätzen von Hannes Heer; einer von ihnen ist inzwischen ins Englische übersetzt worden. So wirkt sowjetische Propaganda bis heute fort.

Die Greise demonstrieren

Die Liste mit den längst bekannten Fehlern und Manipulationen in der Ausstellung ist lang. Da sind Fotos über dasselbe Ereignis mit unterschiedlichen Legenden zu sehen; eine Aufnahme ist gekontert, eine andere geschnitten, beide sind falsch zugeordnet: Zitate sind sinnentstellend geändert worden; Bilderreihen wurden auseinander gerissen und so zusammengesetzt, dass sie nun Verbrechen der Wehrmacht zu dokumentieren vorgeben; Bildgeschichten, die sich aus mehreren Fotos zusammensetzen und mit denen suggeriert wird, dass sie denselben Vorgang (Verbrechen der Wehrmacht) darstellen, während sie tatsächlich verschiedene Ereignisse zeigen, zudem falsche oder zumindest zweifelhafte Täterzuordnung.

Es wäre naiv zu glauben, dass all diese Fehler ausschließlich das Ergebnis nachlässiger Recherchen sind. Tatsächlich gibt es handfeste Anhaltspunkte dafür, dass die Aussteller der Wahrheit absichtlich nachgeholfen haben. So unterscheiden sich die Begleittexte bei Fotos in der Ausstellung von denen in den Archiven, aus welchen sie stammen sollen. Auf Seite 117 im Katalog etikettierte man offenkundig eine Erschießungsaktion des SD und der SS in die des SD und der Wehrmacht um. Ein anderes Foto, das im Archiv, aus dem es stammen soll, mit der Legende: „Gefunden bei einem gefallenen Soldaten“ versehen ist, findet sich in der Ausstellung mit der Beschriftung „Tote Kriegsgefangene“, und ist den Genickschussverbrechen der Wehrmacht zugeordnet. Tatsächlich zeigt aber dieses Foto Genickschussverbrechen der Sowjets.

Die herausfordernde Haltung der Aussteller brachte viele ehemalige Soldaten erst recht in Rage; sie wussten nun, dass es hier nicht um die Wahrheit geht. Sie schrieben Petitionen, Protest- und Schmähbriefe; 70- und 80-jährige Männer gingen demonstrieren – ein einmaliges Ereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sie sprachen von der Ehre gefallener Kameraden und von Nationalstolz. Genau das wollte keiner hören. Ihre Proteste erreichten genau das Gegenteil: Man stempelte sie pauschal zu Ewiggestrigen ab. Die Provokation war perfekt. Jetzt wollte erst recht keiner mehr hören und glauben, dass Fotos falsch zugeordnet seien; dass die Ausstellung einseitig und unseriös sei. Die Auseinandersetzung wurde zum Meinungskampf erklärt, zum Kampf gegen die „Unbelehrbaren“. In diesem Klima gelang es den Ausstellern vier Jahre lang, die sachliche Diskussion zu verhindern.

Nun machten sich die rechten Blätter und Autoren zu Anwälten der alten Männer, die sich diffamiert und ausgegrenzt fühlten. Man schrieb Artikel und Bücher über die Fehler in der Ausstellung und verdiente damit Geld. Spätestens 1997 berichtete man von Fotos mit finnischen und ungarischen Soldaten in der Ausstellung, über die vom NKWD erpressten Aussagen, die als glaubwürdige Beweise für Verbrechen der Wehrmacht präsentiert wurden. Das schlimmste ist dabei, dass die rechten Autoren und Blätter, die sonst nur rechtsradikalen Unsinn verbreiten, in diesem einen Punkt recht hatten: Die Ausstellung war ein Geschenk für sie. Mit Hinweisen auf die leicht erkennbaren Fehler der Ausstellung stellten sie nun die seriöse NS-Forschung in Frage und gewannen neue Kunden.

Die rechte Szene, die sonst zersplittert war, wurde mobilisiert. Der Kampf gegen die Ausstellung hat sie zusammengeführt. Mit glänzenden Augen erzählen sie heute von Demonstrationen in München. Dies war ein einmaliges Ereignis, berichten sie; man lernte Gleichgesinnte aus der ganzen Republik kennen. Wütend schimpft man über Fälschungen in der Ausstellung. Rechte Blätter und Autoren fütterten sie mit Informationen über Fälschungen in der Ausstellung, und transportierten gleichzeitig ihr rechtsradikales Gedankengut.

Was machten die deutsche Historiker? Einige von ihnen setzten sich vorbehaltlos für die Ausstellung ein. Viele schwiegen aber, weil es ja um die richtige Sache ging und man Angst hatte, in die rechtsradikale Ecke gedrängt zu werden. Andere fürchteten, von den Rechten instrumentalisiert zu werden.

Die Rechten instrumentalisierten aber in der ersten Linie nicht die Kritiker der Ausstellung, sondern die Ausstellung selbst. Einerseits versuchten sie, mit Hinweisen auf deren Fehler die aufklärerische Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit zu diskreditieren. Anderseits bemühten sie sich, ihre wissenschaftlich nicht zu haltenden Positionen glaubwürdig zu machen. Das haben sie immer versucht – solange aber wissenschaftliche Kriterien in der NS-Forschung eingehalten werden, ist das schwierig. Die Wehrmachtsausstellung war da geradezu ein Geschenk für rechte Geschichtsklitterer.

Auf der anderen Seite missbrauchten die Aussteller moralische Autoritäten der Bundesrepublik, um ihr Werk gegen inhaltliche Kritik zu immunisieren. Hier sind sie schließlich gescheitert. Wissenschaftlich fundierte Kritik brachte schließlich die Wende. Demontiert haben die Ausstellung die Medien. Sie wurde gestoppt und soll überarbeitet werden. Diesmal wolle man wissenschaftliche Kriterien einhalten, heißt es. Das bedeutet aber, dass die Ausstellung von Grund auf überarbeitet werden muss, einschließlich der Konzeption. Es wird und darf nicht mehr wie früher sein.

Wenn die Ausstellung noch eine Chance bekommen soll, müssen alle, wirklich alle Fehler, Manipulationen, Entstellungen und Ungereimtheiten offengelegt werden. Es muss der Eindruck vermieden werden, dass die Ausstellung gestoppt worden ist, um das ganze Ausmaß des Desasters zu verheimlichen. Nur schonungslose und transparente Kritik kann die überarbeitete Ausstellung glaubwürdig machen. Die deutsche NS-Forschung kann sich nicht noch so ein Debakel leisten. Es ist zu hoffen, dass Wissenschaftler diesmal gehört werden.

Bei der ganzen Auseinandersetzung um die Ausstellung dürfen die Opfer nicht übersehen werden. Das Andenken an sie darf nicht instrumentalisiert werden. So missbrauchten die Aussteller die Holocaustopfer, um mit Hinweis auf sie Kritik an den Inhalten der Ausstellung zu blockieren. Als Hannes Heer nach einem falsch zugeordneten Foto befragt wurde, erklärte er: Die Ehrfurcht vor den Opfern verbiete Fragen zum Bild.

Unterm Strich zeigt sich, dass die Wehrmachtsausstellung kontraproduktiv für den aufklärerischen Umgang mit der NS-Vergangenheit ist. Die Ausstellung hat der öffentlichen Debatte über die NS-Herrschaft nachhaltiger geschadet als alle Versuche von Ewiggestrigen und derjenigen, die einen Schlussstrich ziehen und vergessen wollen.

Der Autor ist Historiker am Deutschen Historischen Institut in Warschau.

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