Der Wald hat viele Bäume David Irvings Prozess in London und der Gutachter Richard Evans David Irving ist ein standfester Mann. Ein Mann wie ein Schrank. Montag mit Donnerstag, von 10 Uhr 30 bis 13 Uhr und von 14 bis 16 Uhr, tritt er im Saal 73 des Royal High Court in London als Kläger und Verteidiger in eigener Sache auf. Manchmal ist er der streberhafte Schuljunge, manchmal die beleidigte Diva, manchmal das Opferlamm. Erregung oder innere Unruhe kompensiert er durch Hin- und Herdrehen seiner Lesebrille oder Schnippen mit den Fingern. Seit Januar wird vor dem High Court die Klage Irvings gegen die Religionswissenschaftlerin und Holocaustforscherin Deborah Lipstadt und ihr bei Penguin erschienenes Buch Denying the Holocaust verhandelt. Irving klagt gegen die von Lipstadt erhobene Anschuldigung, er sei ein Holcaust-Leugner. Er sieht sich als seriösen Forscher, der beweisen könne, dass der Holocaust als systematische Aktion nicht stattgefunden habe. Die prominenten Verteidiger der Beklagten, die Anwälte Anthony Julius und Richard Rampton, haben international anerkannte Holocaust-Fachleute als Zeugen benannt: Christopher Browning, Robert Jan van Pelt, Richard Evans, Peter Longerich. Denn in diesem Verleumdungsprozess steht, wie die Februar-Ausgabe des Atlantic Monthly titelte, nichts Geringeres als der Holocaust vor Gericht. Der Holocaust und seine juristische Beweisbarkeit: Nach englischem Recht liegt die Beweislast auf Seiten der Beklagten. Als deren Zeuge war in diesen Tagen Richard Evans geladen, Professor für moderne Geschichte in Cambridge. Über 700 Seiten umfasst sein Gutachten, das ausführlichste dieses Prozesses. Evans war schockiert, wie er einleitend bemerkte, er sei nicht vorbereitet gewesen auf das Maß der Zweideutigkeit, das er bei Irvings Umgang mit historischen Quellen angetroffen habe. Manchmal scheint er sich im Zeugenstand zu krümmen, und erst recht ist sein Gesichtsausdruck gequält, wenn er Irving versichert, er habe nichts gegen ihn persönlich, was ihm missfalle, seien Irvings Aussagen. Er erklärt, warum er Dokumente, die Irving zitiert, nicht für schlüssig oder gültig hält, verwahrt sich gegen Wortklaubereien und man meint zwischendurch, eigentlich könne der fingerschnippende Irving sich und seine Argumente nicht mehr lange aufrecht halten. Doch der zeigt sich trainiert in seiner Rolle und genießt das Forum, das er hat. So versucht er dem Geschichtsprofessor nachzuweisen, dass die Alliierten eine Hauptschuld an den Grausamkeiten und Tötungen trügen. Oder dass es sich bei Anne Franks Tagebuch um einen Roman handele. Oder dass Hitler die Pogrome der Reichskristallnacht keineswegs selbst angeordnet, ja, sie gar nicht gewollt habe. Oder dass die Ziele der Wannsee-Konferenz nicht eindeutig gewesen seien und dass Hitler die Lösung der Judenfrage vertagen wollte bis nach Kriegsende. Stück für Stück zerpflückt Irving Evans Dokumentation, stets bereit, ihn bloßzustellen, wenn Evans nicht gleich Fußnoten und Textstellen im Gedächtnis hat. Regelmäßig verbeißt er sich ins Detail, wird zum nervenden Erbsenzähler. Wiederholt mahnt ihn Richter Charles Gray, zur Sache zu kommen. Gray ist ein Pokerface, erfahren in prominenten Verleumdungsfällen. Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, Sie betreiben Haarspalterei . . . Journalisten gegenüber gibt sich der Kläger leutselig; wenn man seine guten Deutschkenntnisse erwähnt, verweist er auf seine Zeit als junger Arbeiter bei Thyssen im Ruhrgebiet und meint stolz, das gehe auf keine Kuhhaut. Dann packt er die Unterlagen in seine Tüten und bereitet sich auf den nächsten Morgen vor. Im Saal 73 ist es kalt in diesen Februartagen. Vor allem aber wird einem beim gerichtlichen Schlagabtausch kalt bei solchen Fragen wie: Stellt der Holocaust selbst, der Umgang mit Archivmaterial, sonstigen Beweisdokumenten und Zeugenberichten nurmehr eine rhetorische Manövriermasse dar? Wie steht es mit der Gültigkeit historischer Forschungsergebnisse, werden Wahrnehmung und Augenschein künftig relativ sein? Oft zitiert während dieses Prozesses werden brutale Sprüche des Klägers: seine Äußerung, Aids sei die Endlösung für alle Afrikaner und Homosexuellen. Oder das Schlaflied, seinerzeit verfasst für seine jüngste Tochter und notiert in den Tagebüchern, die er an die Verteidigung geben musste: I am a baby Aryan/ Not Jewish or sectarian/ I have no plans to marry an/ Ape or Rastafarian. Die englische Rechtsprechung lässt dem Kläger jeden Raum, sich darzustellen. Skeptiker verweisen auf die Formalien und die Grenzen dessen, was Justiz zu leisten vermöge. Optimisten hegen die große Hoffnung, dass dieser Prozess mit der Auschwitz-Lüge endgültig aufräumen werde. Irving veröffentlicht auf seiner Website täglich Prozess-Dokumente, rechnet mit seinen Gegnern ab, bittet um finanzielle Unterstützung für seine Sache. Am gestrigen Mittwoch trat Holocaust-Forscher Peter Longerich in den Zeugenstand. Bis April soll das Verfahren andauern. BIRGIT WEIDINGER |