Shoah Project | Süddeutsche Zeitung vom 15. Januar 2000 | Feuilleton
Die Wahrheitsfindung

David Irvings großer Prozess um die Holocaust-Lüge in London

Seit Dienstag läuft am Royal High Court in London der "spektakulärste Holocaust-Prozess seit Eichmann" - als solchen kündigte man ihn an, obwohl weder Überlebende noch Täter auftreten. David Irving, Autor historischer Bücher und notorischer Hitler-Apologet, klagt gegen den englischen Verlag Penguin und die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt wegen Rufschädigung auf Schadensersatz.

Lipstadt hatte Anfang der neunziger Jahre mit ihrem Buch "Denying the Holocaust" in den USA große Aufmerksamkeit erregt. Sie beschreibt darin die Geschichte der Holocaust-Leugnung seit 1945 und geht mit dem Engländer Irving, den sie für einen der gefährlichsten Leugner hält, scharf ins Gericht. Ihren Vorwurf, Irving verfälsche Geschichte, stellte ihr Londoner Anwalt, Richard Rampton, darum auch in den Mittelpunkt seines Eröffnungsplädoyers: "Irving bezeichnet sich als Historiker. Tatsächlich ist er kein Historiker, sondern ein Geschichtsfälscher. Offen gesagt: Er ist ein Lügner." Es gäbe viele Arten, Geschichte zu fälschen, etwa durch Erfinden, falsches Zitieren, Auslassen, Übertreiben, Manipulieren und falsches Übersetzen. Irving habe sie alle benutzt.

Schon 1977 war Irving durch die Veröffentlichung seines Buches "Hitlers Krieg" auf heftigen Widerspruch von Historikern gestoßen, weil er Hitlers Rolle bei der Judenvernichtung herunterzuspielen sucht. Martin Broszat, damals einer der führenden deutschen Experten des Nationalsozialismus, antwortete mit einer berühmt gewordenen, vernichtenden Kritik. Bis dahin hatte der Engländer, seinen verqueren Ansichten zum Trotz, noch einen gewissen Ruf unter Historikern genossen. Irving sei eine Art Trüffelschwein, meinte ein deutscher Archivar. Zwar verfüge er über keine abgeschlossene Universitätsausbildung, aber durch seine umfangreiche Archivtätigkeit und seine Fähigkeit, alte Nazis in abgelegenen Alpendörfern und auf entfernten argentinischen Farmen aufzuspüren, habe er immer wieder unbekannte Dokumente ausgegraben und sie der Forschung zugänglich gemacht.

Taktloses über Auschwitz

Während Historiker das Werk des Autodidakten scharf kritisierten, gewann Irving in rechtsextremen Kreisen in den achtziger Jahren bald eine Art Heldenstatus. In Deutschland, Österreich und den Vereinigten Staaten trat er regelmäßig auf rechtsextremen Versammlungen auf und verkaufte einem geneigten Publikum seine Sicht des Führers. In Deutschland war er eng mit der DVU liiert, nannte den Neonazi Michael Kühnen seinen Freund und ließ seine deutsche Pressearbeit von Ewald Althans leisten.

1988 diskreditierte er sich in akademischen Kreisen endgültig, als er sich bei einem Gerichtsverfahren gegen den Neonazi Zündel in Kanada offiziell auf die Seite der Holocaust-Leugner schlug. Er ließ sich dabei vom sogenannten Leuchter-Report "bekehren", einer dilettantischen Analyse eines Pseudoexperten, der meinte, feststellen zu können, dass in den Gaskammern von Auschwitz nie Gas eingesetzt wurde.

In Deutschland ist die Auschwitz-Lüge bekanntlich strafbar; Irving geriet deshalb wegen seiner Äußerungen zum Holocaust wiederholt mit dem deutschem Recht in Konflikt. Im deutschen Bundesarchiv hat er Haus-, in der Bundesrepublik Einreiseverbot. Auch Australien und Kanada verwehren dem Publizisten die Einreise, aus Österreich wurde er ausgewiesen. Nervös wurde Irving allerdings erst, als der amerikanische Verlag St. Martin's Press, der 1996 das neueste Werk des Engländers, eine Goebbels-Biographie, veröffentlichen wollte, nach heftiger Kritik aus Fachkreisen absprang. Da wegen der Einreiseverbote seine Einnahmen aus Rednertätigkeit empfindlich geschmälert waren, rutschte ihm nun auch sein größter Markt weg. Irving behauptete am Dienstag vor Gericht, bis vor einigen Jahren noch jährlich über £ 100 000 aus Tantiemen bezogen zu haben. Seit 1996 falle ein Verleger nach dem anderen von ihm ab.

Diese Konsequenz legt er Deborah Lipstadt, die in Atlanta Moderne Judaistik und Holocaust-Forschung lehrt, zur Last. Vor Gericht bezeichnete er sie und ihren Verleger Penguin als "Schurken", als Teil einer internationalen, vorwiegend jüdischen Verschwörung, die seinen Ruf und seine Existenz bedrohe. Besonders in Rage redete er sich über den Begriff "Holocaust-Leugner": Dieser sei eine Beleidigung, ein "verbaler Gelber Stern", tödlich wie "eine in den Hals gejagte Spritze Nervengas".

Die Replik des Anwalts von Penguin und Lipstadt ließ ihm seine selbstzugewiesene Opferrolle nicht lange. Der Advokat zitierte eine Rede Irvings, die dieser 1991 gehalten hatte - als Beispiel für dessen Versuch, das "Schlachtschiff Auschwitz zu versenken". Der Versammlung hatte Irving damals verkündet: "Ich sehe keinen Grund, taktvoll über Auschwitz zu reden. Es ist Quatsch, eine Legende . . . Ich behaupte ganz taktlos, dass tatsächlich mehr Frauen auf dem Rücksitz von Edward Kennedys Auto umgekommen sind, als je in den Gaskammern von Auschwitz. Oh, Sie glauben, dies sei taktlos, wie wär's mit dem folgenden? Es treiben sich noch so viele Auschwitzüberlebende herum, es werden tatsächlich jedes Jahr mehr, was biologisch sehr seltsam ist, um es vorsichtig auszudrücken. Ich werde eine Vereinigung gründen, die Association of Auschwitz Survivors, Survivors of the Holocaust and Other Liars, oder kurz A-S-S-H-O-L-S."

Trotzdem steht Irving, der in Deutschland längst jede Glaubwürdigkeit verloren hat, in England noch in gewissem Ansehen. Die Medien bezeichnen ihn als "Englands kontroversesten Historiker", die Times titulierte ihn diese Woche als "akademischen Freibeuter". Die englische Gesellschaft ist stolz auf ihre Toleranz gegenüber Exzentrikern, ganz abgesehen von einer verbreiteten Sympathie für Widersacher des Oxbridger Establishments. Um so mehr stilisiert sich Irving vor Gericht zum Urbild eines Engländers, als "laissez-faire- Liberaler", der das Ableben des Britischen Empires bedauert. Auf diesen britischen Affekt baut auch seine Mitteilung am Donnerstag, dass ein deutsches Gericht letzten Sommer die englische Regierung um Hilfe bei seiner Auslieferung gebeten habe.

Seinen Prozessvorteil verdankt er der Regel des englischen Rechts, wonach bei einer Klage wegen Rufschädigung der Beklagte beweisen muss, dass seine ehrkränkenden Aussagen zutreffend sind - eine Regel, die in Deutschland genauso gilt (nur erübrigt sich hier im Unterschied zu England jede Beweisaufnahme zum Holocaust, da dieses historische Faktum bei uns als "gerichtsbekannt" gilt). Die Gegenanwälte haben darum ein Expertenteam von hohem internationalen Ruf zusammengestellt, das sich detailliert mit Irvings Werk auseinandersetzt: Peter Longerich und Christopher Browning als Spezialisten für Hitler und die Judenvernichtung, Richard Evans für die deutsche Geschichte allgemein, Robert Jan van Pelt für die Gaskammern in Auschwitz.

Schon am zweiten Prozesstag verkündete Irving seine Sicht der Geschichte. Den Begriff "Holocaust" halte er für irreführend, weil zu vage und unwissenschaftlich. Seiner Definition nach handelt es sich beim Holocaust um den gesamten Zweiten Weltkrieg und alle seine Oper, nicht nur Juden, sondern auch die Bevölkerung Coventrys und Hiroshimas. Diesen "Holocaust" gibt er zu; daher auch seine Behauptung, kein Holocaust-Leugner zu sein. Im gleichen Atemzug leugnet er jedoch, was gemeinhin unter Holocaust verstanden wird. Von den Nationalsozialisten seien zwar zwischen einer und vier Millionen Menschen umgebracht worden. Doch Millionen von Juden in Gaskammern zu töten, wäre logistisch unmöglich gewesen. Der Gegenseite werde es schwer fallen zu beweisen, dass es eine "Entscheidung des Dritten Reiches, eine Entscheidung Hitlers" gäbe, systematisch Juden zu vernichten.

Anders als sonst bei englischen Rufschädigungsprozessen entscheidet nicht eine Jury, sondern ein einzelner Richter. Beide Parteien hatten sich auf diesen Modus geeinigt, weil sie befürchteten, die Komplexität der Materie würde den Prozess sonst unnötig in die Länge ziehen. Auf den Anwälten von Lipstadt und Penguin liegt eine schwere Last. Würde Irving auch nur in Teilbereichen Recht gegeben, wäre dies für ihn ein bedeutender Erfolg, den er sicherlich sofort als Bestätigung der Legitimität seiner Ansichten verkaufen würde. Doch selbst wenn der Prozess - wie allgemein erwartet - zugunsten der Beklagten ausgehen sollte, steht zu befürchten, dass Irving von seinem rechtsextremen Anhang zum Märtyrer der Meinungsfreiheit ausgerufen wird und seine Äußerungen vor Gericht in den Kanon einer neuen Generation von Holocaust-Leugnern aufgenommen werden.

BERNHARD FULDA


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