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über's Projekt

Geschwister-Scholl-Preis

Sinn und Ziel
Begründung 1997
1980 - 1996





Die Verleihung 1997

Süddeutsche Zeitung vom 26.November 1997
Feuilleton

Ernst Klee erhielt den Geschwister Scholl-Preis

Ernst Klee kann niemanden gleichgültig lassen. Seine Bücher fordern heraus – zu Entsetzen, Empörung, Wut; sie vermitteln ein Gefühl der Hilflosigkeit und doch auch den Wunsch, die Dinge, wie sie sind, zu verändern. Sehr persönlich, fern jeder Feierroutine waren denn auch die Reden (nicht alle) bei der Überreichung des Geschwister-Scholl-Preises in der Großen Aula der Münchner Universität. Ausgezeichnet wurde Klees Dokumentation Auschwitz. Die NS-Medizin und ihre Opfer, die „bislang bedeutendste Untersuchung zur Medizin im NS-Staat“, wie Christoph Wild, Vorsitzender des Verbands Bayerischer Verlage und Buchhandlungen, der mit der Stadt München diesen Preis verleiht, sagte.

Ausdrücklich dankte Wild der Jury für diese Wahl. Und doch erinnere er sich an kein anderes Buch, um das er selbst einen so großen Bogen gemacht habe. „Ich hielt es nicht aus, was in dem Buch steht.“ Und er nannte Gründe für dieses Widerstreben: Weil wir unser Vertrauen in die Ärzte und die segensreiche Wirkung der Freiheit von Wissenschaft und Forschung nicht grundsätzlich in Frage stellen lassen wollen durch die Aufdeckung der brutalen, das ärztliche Ethos in ihr Gegenteil verkehrenden Verbrechen; weil wir uns den Glauben an die humane Tragfähigkeit der bildungsbürgerlichen Ideale ungern nehmen lassen; weil diese Dokumentation mörderischer Menschenverachtung „uns an unserer eigenen moralischen Verläßlichkeit zweifeln und die Frage stellen läßtKönnen wir uns denn überhaupt noch selbst trauen?“ Weil Klees Buch über die Perversion medizinischer Forschung in der NS-Zeit schließlich den Verdacht wachsen läßt, daß es keinen Schutz vor Wiederholung gibt, ja, daß diese Wiederholung (StichwortGenforschung) schon stattfindet – „heute nicht in den KZs, sondern in der Dritten Welt“.

An die „betörenden Ideale und noch fernen Ziele von medizinischer Technik und Forschung“ (Wild) kann, wer die Geschichte mit Klees mitfühlendem Blick auf die Opfer sieht, nur schwer glauben. So war es eine räsonnable Entscheidung der Jury, den Part der Laudatio (siehe Kasten) einem Arzt anzuvertrauenEllis Huber, dem Präsidenten der Berliner Ärztekammer, dem „ersten linken Gesundheitsrevoluzzer“ (so seine Kritiker in der Ärzteschaft) mit Standesfunktion. Huber erfüllte die Erwartungen mit einem vehementen Aufruf, aus dem Versagen der deutschen Ärzteschaft im Nationalsozialismus die Konsequenz zu einer neuen Medizin zu ziehen. Und die Zustimmung im Publikum war einhellig, als er seinen Kodex ärztlichen Verhaltens verkündete. Doch es war eine Rede, die ihren Härtetest erst noch in der Auseinandersetzung mit Hubers ärztlichen Kollegen zu bestehen hat; pro domo, wie auch die Begrüßung durch den Hausherren, den Rektor der Universität. Auch Andreas Heldrich nutzte die Verleihung des dem Gedenken an den Widerstand der Geschwister Scholl verpflichteten Preises politischzu einer Erklärung, die Unabhängigkeit der Universität mit „argwöhnischer Entschlossenheit“ gegen die Zumutungen des Hochschulgesetzes zu verteidigen. Und er sprach zwar von Klees Buch als „Auftrag an unsere Hochschule“; welcher Wissenschaftler aber seine NS-Karriere an dieser Hochschule begründete und nach 1945 glänzend fortsetzen durfte – davon war nicht die Rede.

Namen, einen zumindest, nannte in seiner eindrucksvollen Würdigung Oberbürgermeister Christian Ude: Ernst-Günther Schenck, dessen Hungerversuchen in Mauthausen Hunderte von Häftlingen zum Opfer fielen und der nach dem Krieg im „Verband der Heimkehrer Deutschlands“ als Wiedergutmachungsexperte für Hungerschäden zuständig war (gegen ihn, rühmliche Ausnahme, leitete der Münchner Stadtrat ein förmliches Dienststrafverfahren ein; nach der Pensionierung). Namen nannte endlich Ernst Klee. Namen von Ärzten, die sich im eigens für Menschenexperimente errichteten Konzentrationslager Natzweiler an Giftgasversuchen beteiligten, Versuchen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurden. Namen, die er nicht nennen darf, weil die Benutzergenehmigung des Archivs ihm das verbietet. Und die er nun wieder nannte nebst weiterer Forschungskarriere: Anton Kiesselbach, der in Natzweiler die Hoden ermordeter Häftlinge sezierte und nach 1945 Ordinarius an der Medizinischen Akademie Düsseldorf war; Eugen Haagen, der Häftlinge wie Meerschweinchen zu Fleckfieber-Versuchen verbrauchte und später bei der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere unterkam . . . ein leises Raunen des Entsetzens in sonst atemloser Stille des Publikums wurde spürbar bei dieser Aufzählung.

Wie ein befreiendes Versprechen wirkten so Ernst Klees Schlußworteseine Warnung vor neuen Züchtungsphantasien, seine Kritik an einer Gesellschaft, die erneut den Lebenswert Behinderter diskutiert, die Tötung behinderter Kinder fördert. „Ich würde Freunde verlierengelähmt, aber weise; ohne Arme, aber klug; spastisch, doch voller Charme; blind, und doch hellsichtig. Ich bekenneeine Welt ohne das Lächeln der Mongoloiden und ihre Zärtlichkeit wäre eine unmenschliche Welt.“

ELISABETH BAUSCHMID

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