Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

[doku] [aktuell] [literatur] [links] Previous Page TOC Next Page
Debatte im Deutschen Bundestag
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Schily, SPD. Otto Schily (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Das Thema, das wir heute diskutieren, eignet sich nicht für Polemik. Aus diesem Grunde werde ich mich zu Herrn Gauweiler nicht mehr äußern. Heiner Geißler hat dazu alles Notwendige in seinem Artikel in der "Bild am Sonntag" gesagt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Notwendig ist unsere heutige Aussprache als Teil einer Vergegenwärtigung unserer Geschichte, die noch Jahrzehnte andauern wird. Es geht um den Unwillen und die Unfähigkeit vieler Menschen, sich auf die historische Wahrheit, was die Untaten der Schreckenszeit der Naziherrschaft angeht, einzulassen. Es ist das hochanzuerkennende Verdienst des von Jan Philipp Reemtsma gegründeten Instituts für Sozialforschung und der von ihm erarbeiteten Wehrmachtsausstellung, daß sie sich mit der Rolle der Wehrmacht im Gefüge der Naziherrschaft auseinandersetzen. Ganz am Anfang des Katalogs zu dieser Ausstellung findet sich eine einleitende Bemerkung, die Volker Beck schon zitiert hat, die die Zielrichtung der Ausstellung deutlich werden läßt. Ich zitiere:

Die Ausstellung will kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen. Sie will eine Debatte eröffnen über das -- neben Auschwitz -- barbarischste Kapitel der deutschen und österreichischen Geschichte, den Vernichtungskrieg der Wehrmacht 1941 bis 1944.

Den beschämenden Versuchen rechtsradikaler Kreise in der CSU und anderer Gruppierungen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Was soll das?)

die Ausstellung zu diffamieren, müssen alle mit Entschiedenheit entgegentreten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Es ist beunruhigend, nein, es ist empörend, mit welcher Dreistigkeit die übelsten nazistischen Parolen in Umlauf gesetzt werden in dem Bestreben, die Wahrheit über die Schrecken der Naziherrschaft und die Rolle der Wehrmacht aus dem historischen Bewußtsein zu verdrängen. Fast schlimmer ist die Tatsache, daß der bayerische Ministerpräsident und der CSU-Parteivorsitzende sich in Schweigen hüllen, anstatt sich an die Seite der Kritiker in ihren eigenen Reihen, an die Seite der beiden CSU-Stadträte in München zu stellen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Kann es die deutsche Öffentlichkeit hinnehmen, daß gegen eine Wehrmachtsausstellung, zu der der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, dankenswerterweise eine Eröffnungsrede am 13. April halten wird, zu der der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Andrzej Szczypiorski, eine Eröffnungsrede gehalten hat, von Angehörigen einer traditionsreichen demokratischen Partei die dumpfesten neonazistischen Ressentiments mobilisiert werden?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wer diesem Treiben nicht entschlossen entgegentritt, handelt verantwortungslos. Er setzt das Ansehen Deutschlands aufs Spiel und gefährdet den demokratischen Grundkonsens unserer Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich rechne es Heiner Geißler und Volker Rühe hoch an, daß sie in dieser Richtung nie Undeutlichkeiten haben aufkommen lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Die Debatte über die Rolle der Wehrmacht ist schwierig und schmerzhaft, gewiß. Aber sie ist unausweichlich. Die Grammatik der politischen Sprache bevorzugt leider häufig in der historischen Retrospektive die Passivform: es wurde, es passierte, es ereignete sich, es fand statt. Hinter diesen Wortgeweben verschwinden das Subjekt, das Individuum, die Schuld und die Verantwortung.

Die Debatte kann uns aber auch in die Versuchung bringen -- wer wollte das nicht eingestehen --, sie im Stil einer selbstgefälligen Moral zu führen. Davor ist niemand gefeit; davor sollten wir uns alle hüten. Wenn wir ehrlich mit uns umgehen, wird jeder einzelne von uns sich fragen müssen, wie er selbst in einer Extremsituation gehandelt hätte. Wer von uns könnte ohne weiteres behaupten, daß er zum Beispiel den Mut eines deutschen Soldaten aufgebracht hätte, der sich der Exekution von wehrlosen Zivilisten verweigerte und sich schweigend in ihre Reihe stellte, um den Tod mit ihnen zu teilen?

(Der Redner hält inne)

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einige persönliche Bemerkungen.

Previous Page TOC Next Page


© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999