Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Debatte im Deutschen Bundestag
(Forts.) Otto Schily, SPD

Mein Onkel Fritz Schily, ein Mann von lauterem Charakter, war Oberst der Luftwaffe.

(Der Redner hält erneut inne)

-- Entschuldigung. -- Zum Ende des Krieges war er Kommandeur eines Fliegerhorstes in der Nähe von Ulm. Er suchte in Verzweiflung über die Verbrechen des Hitler-Regimes bei einem Tieffliegerbeschuß den Tod.

Mein ältester Bruder Peter Schily verweigerte sich der Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend und versuchte zunächst ins Ausland zu fliehen. Da ihm das nicht gelang, meldete er sich freiwillig an die Front. Er wurde nach kurzer Ausbildung als Pionier im Rußlandfeldzug eingesetzt, erlitt schwere Verwundungen und verlor ein Auge sowie die Bewegungsfähigkeit eines Armes.

Mein Vater, eine herausragende Unternehmerpersönlichkeit, dem ich unendlich viel für mein Leben verdanke, war ein erklärter Gegner des Nazi-Regimes, empfand es aber als Reserveoffizier des Ersten Weltkrieges als tiefe Demütigung, daß er auf Grund seiner Mitgliedschaft in der von den Nazis verbotenen anthroposophischen Gesellschaft nicht zum Wehrdienst eingezogen wurde. Erst später hat er die Verrücktheit -- ich verwende seine eigenen Worte -- seiner damaligen Einstellung erkannt.

Der Vater meiner Frau, Jindrich Chajmovic, ein ungewöhnlich mutiger und opferbereiter Mensch, hat als jüdischer Partisan in Rußland gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft. Nun sage ich einen Satz, der in seiner Härte und Klarheit von mir und uns allen angenommen werden muß: Der einzige von allen vier genannten Personen -- der einzige! --, der für eine gerechte Sache sein Leben eingesetzt hat, war Jindrich Chajmovic. Denn er kämpfte gegen eine Armee, in deren Rücken sich die Gaskammern befanden, in denen seine Eltern und seine gesamte Familie ermordet wurden. Er kämpfte gegen eine Armee, die einen Ausrottungs- und Vernichtungskrieg führte, die die Massenmorde der berüchtigten Einsatztruppen unterstützte oder diese jedenfalls gewähren ließ. Er kämpfte, damit nicht weiter Tausende von Frauen, Kindern und Greisen auf brutalste Weise umgebracht wurden. Er kämpfte gegen eine deutsche Wehrmacht, die sich zum Vollstrecker des Rassenwahns, der Unmenschlichkeit des Hitler-Regimes erniedrigt und damit ihre Ehre verloren hatte.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was glauben Sie, wie auf einen, der als Partisan für eine gerechte Sache gekämpft hat, folgender Kommentar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 26. Februar 1997 zu der Wehrmachtsausstellung wirken würde? Ich zitiere:

Gewiß wirkt erschreckend, wenn zu sehen ist, wie ein nach der Uniform unverkennbarer Wehrmachtssoldat jemandem den Strick um den Hals legt. Aber es verschwindet unter der scheinbar dokumentarischen Suggestivkraft des Bildes, ob es sich um eine Hinrichtung von Partisanen handelt -- bis heute gerechtfertigt vom Kriegsvölkerrecht, das das Recht zum Töten den "Kombattanten" vorbehält, also den von ihrem Staat in die Pflicht des Tötens genommenen Soldaten. Selbst der NS-Staat hat, als er Ende 1944 das letzte Aufgebot, den "Volkssturm", aus halben Kindern und gebrechlichen älteren Männern aufstellte, darauf Bedacht genommen, die Reste der Uniformvorräte zusammenzukratzen, damit die Volkssturm-Männer als Kombattanten anerkannt würden.

Verstehen Sie, was in dieser eiskalten, trüben Logik zum Ausdruck kommt? Gerechtfertigt war es, einen Menschen, der für eine gerechte Sache kämpfte, zu erhängen. Es war ganz selbstverständlich, daß die Soldaten vom NS-Staat zum Töten in die Pflicht genommen wurden. Der NS-Staat findet eine Huldigung, weil er in seiner verbrecherischen Energie immer noch so penibel ordnungsliebend blieb, daß er die Kinder und Greise, die er am Schluß des Krieges in das Granatfeuer geschickt hat, mit Uniformen ausstattete. Meine Damen und Herren, das ist eine erbärmliche Logik, die in der starren Welt formalistischer Begriffe nicht mehr die Wirklichkeit zu erreichen vermag.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer sich aus dieser Starrheit nicht befreien kann, macht sich blind dafür, was in jenen Schreckensjahren wirklich vor sich gegangen ist. Zu den Starrsinnigen gehören -- ich kann Ihnen das nicht ersparen, Herr Kollege Dr. Dregger -- leider immer noch Sie. Ich sage Ihnen, Herr Dr. Dregger: Wir haben hier im Hause festgestellt, daß Sie im Laufe der Jahre zu einigen sehr beachtlichen Einsichten gelangt sind, für die Sie den Beifall des ganzen Hauses erhalten haben. Aber wenn Sie, Herr Dr. Dregger, äußern, die Wehrmachtsausstellung verdiene -- ich zitiere Sie wörtlich -- "nur Verachtung, besser noch Nichtbeachtung",

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)

schmähen Sie damit nicht auch Ignatz Bubis, Andrzej Szczypiorski, Jutta Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, und viele andere bedeutende Persönlichkeiten, die Eröffnungsreden für diese Wehrmachtsausstellung gehalten haben?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Schlimmer aber ist, daß Sie -- Sie haben das heute wieder getan -- immer noch an Ihrer These vom verlorenen Zweiten Weltkrieg festhalten. Sie sollten sich endlich zu der Einsicht durchringen, daß Deutschland nur dadurch zur Demokratie geworden ist, daß Nazi-Deutschland den Krieg verloren hat. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, es sind noch viele Aufräumungsarbeiten im Bewußtsein unseres Volkes zu leisten. Wir dürfen unsere Augen nicht von den Bildern des Schreckens abwenden, weil wir nicht nur die Vergangenheit, sondern auch Gegenwart und Zukunft zu verantworten haben. Die Wehrmachtsausstellung ist ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung. Sie verleiht den Opfern eine Stimme und hoffentlich auch unserem Gewissen. Dann können wir auch die Mahnung von Jan Philipp Reemtsma annehmen, die er in folgende Worte gefaßt hat, mit denen ich schließen möchte:

Auch wenn wir am Ende dieses Jahrhunderts, angesichts seiner Destruktivität, seiner Schrecken innewerdend und mit nichts in der Hand dastehen als einer Buchführung über Verbrechen, Fehler, Versagen und skeptische Vorschläge zur Ergänzung internationaler Abmachungen, ist es doch nicht statthaft, alles untergehen zu lassen in einem summarischen "Jahrhundert der Barbarei". Ein Verbrechen hat Ort, Zeit, Täter, Opfer, -- und man sollte sich nicht einem Sprachgebrauch, der die forensische Präzision der Wörter "Täter" und "Opfer" zu rhetorischen Passepartouts verkommen läßt, überlassen. Der Hinweis auf Rechtsnormen ist so wenig schal, wie das Ethos der Sozialwissenschaften: die Welt zur Kenntnis zu nehmen.

(Langanhaltender Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS -- Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])

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