kleiner Logo: Shoah Project













über's Projekt

Special: Steven Spielberg

Übersicht



Heute ist Holocaust-Gedenktag: Der engste Mitarbeiter des Judenretters Oskar Schindler erinnert sich

Der Mann, der Steven Spielberg sagte, wie alles war

Mietek Pemper überlebte durch die Arbeit an einer Liste, die 1200 Menschen dem Tod entriß und später Kinohit wurde

Von Elisabeth Höfl-Hielscher

Als Unternehmensberater ist Mietek Pemper, 77, Fragen gewöhnt. Stets antwortet er präzise, humorvoll, geduldig. Doch es gibt Fragen, die ihn aus der Fassung bringen. Nicht zur Zukunft der deutschen Wirtschaft, sondern zur deutschen Vergangenheit: Vor mehr als 50 Jahren nämlich war Pemper Gefangener und Stenograph des KZ-Kommandanten Amon Göth. Später war er engster Mitarbeiter von Oskar Schindler, der rund 1200 Juden rettete. Er hat an jener Liste mitgewirkt, die dem Buch von Thomas Keneally und dem Film „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg den Namen gab. Und er hat bei den Dreharbeiten den Regisseur in langen Gesprächen beraten.

Es wurde eine Woche oft qualvoller Suche nach Antworten. Die Reportermeute im Gefolge Spielbergs bestürmte ihn. Die Korrespondentin der „New York Times“ wollte wissen: „Warum haben Sie sich denn um die Stelle beworben (!), wenn Sie wußten, daß der Göth ein Mörder ist?“ Andere: „Warum hat Sie denn der Göth nicht erschossen?“ Damals, sagt er, hat Pemper „erkannt, daß sich einfach niemand vorstellen kann, was in den KZ wirklich passiert ist“! Bis dahin hatte er nur selten über seine Erlebnisse gesprochen. Danach aber überwand er allmählich die Scheu vor öffentlichen Auftritten. Mehr als 20 Vorträge hat er inzwischen gehalten, zumeist in Schulen und Volkshochschulen. Nun sind es vor allem junge Leute, die ihm „mit einer ganz neuen Offenheit“ Fragen stellen. Wie war es? Wie konnte es dazu kommen? Was kann man tun, um eine Wiederholung zu verhindern?

Sie geben Pemper die Chance, Vorurteile zu widerlegen: „Wir waren keine Schafe, die sich zur Schlachtbank führen liessen – wir waren Opfer einer von langer Hand vorbereiteten Täuschungsaktion“. Täuschung, Überrumpelung und eine perfekte Maschinerie – das war die Voraussetzung für den perfekten Mord an Millionen von Menschen. „Mit Stumpf und Stiel sollten wir ausgerottet werden, und mit uns die jüdischen Werte: die Zehn Gebote, die Achtung vor dem Leben“. Das ganze Ausmaß des Mordplans, sagt er, sei in den ersten Kriegsjahren nicht vorhersehbar gewesen. „Ich selber habe erst im Herbst 1942 und klarer noch Mitte März 1943 die Wahrheit erkannt“: Zu diesem Zeitpunkt war das Krakauer Ghetto schon „geräumt“, viele Tausende Juden in Vernichtungslager geschickt, die anderen in ein, wie sie glaubten, Arbeitslager im Vorort Plászow gebracht worden.

Hier wurde der 23jährige Pemper wegen seiner Deutsch- und Stenokenntnisse zum Stenografen des Kommandanten bestimmt. Einer der ersten Briefe, die ihm Amon Göth diktierte, war an das Krakauer Gericht gerichtet. „Da hieß es: ,Der Jude Sowieso sitzt im hiesigen Zwangsarbeitslager Plászow ein und kann nicht als Zeuge zur Verfügung stehen. Abends in der Baracke sagte ich zu meinem Freund Stern: ,Stell dir vor, wir sind als Häftlinge hier!“ Bis dahin hatten sie das Barackenlager für eine Fortsetzung des Ghettos gehalten. Sie würden, so hofften sie, als Arbeitssklaven den Krieg überstehen – zwar gedemütigt, ausgeraubt, mißhandelt, aber doch lebendig. Nun aber war klar, daß sie in der Falle waren. Und daß Widerstand Einzelner nur Selbstmord gewesen wäre: „Ohne Waffen und Rückhalt waren wir der stärksten Militärmacht Europas ausgeliefert. Wir mußten eine besondere Form der Verteidigung entwickeln: nicht mit der Keule, sondern mit dem Kopf!“ – Genau eineinhalb Jahre verbrachte Pemper täglich mehrere Stunden mit dem KZ-Kommandanten, mußte jederzeit „beim kleinsten Fehler“ mit dem Tode rechnen. Im Herbst 1944 jedoch wurde Amon Göth verhaftet, weil er den Großteil der Wertsachen, die den Juden bei der Einweisung ins Lager abgenommen wurden, für sich abgezweigt hatte, statt sie an die Reichsbank nach Berlin zu schicken. Pemper wurde von Oskar Schindler für dessen Fabrik in Brünnlitz übernommen. Daß diese außer emaillierten Kochtöpfen auch ,kriegswichtige Rüstungsgüter produzierte, bedeutete „eine winzige Chance“. Gemeinsam mit Freunden entwickelte Pemper den Plan „Überleben durch Arbeit“. Wie er dank der „außerordentlichen Persönlichkeit Schindlers“ gelang, haben mehr als 100 Millionen Kinobesucher in aller Welt aus Spielbergs Film erfahren.

Nach der Befreiung folgte Pemper dem Rat eines bekannten Arztes: „Studieren Sie, arbeiten Sie, denken Sie nicht!“ Er machte den Magister in Ökonomie, studierte Soziologie, pflegte die kranke Mutter, war nebenher Dolmetscher und Zeuge bei den Kriegsverbrecher-Prozessen in Polen, auch Hauptzeuge gegen Amon Göth. Dabei stellte sich heraus, daß er der einzige jüdische Stenograf gewesen war, den je ein KZ-Lagerkommandant hatte. Der Grund: Anders als etwa die KZ Dachau, Buchenwald und andere, die nicht nur für Juden aus den nahen Städten (München und Weimar) errichtet wurden, war das in Plászow eigens für die Juden aus Krakau bestimmt. „So mußte ich dort die gleichen Aufgaben übernehmen, die ich nach Kriegsausbruch im Sekretariat der Jüdischen Gemeinde hatte.“

1957, nach dem Tode der Mutter, kam Pemper zu den Resten seiner Familie nach München, wo er heute noch seinen Lebensmittelpunkt hat. Hier gings bergauf – äußerlich. Doch die Erinnerungen blieben. „Ich wirke beherrscht, bemühe mich, ruhig zu sein und nicht nachzugrübeln. Aber das funktioniert leider nicht immer so, wie man es gern hätte.“ Dazu trugen lange Zeit auch die Lügen der Umgebung bei. Vor allem die kränkende „Leugnung des großen Beitrags der Juden zur deutschen Kultur“. Als Beispiel führt er stets einen Zweihundertmarkschein mit sich: „Wenige wissen, daß der Nobelpreisträger, der darauf abgebildet ist, der große Immunologe und Begründer der Chemotherapie Paul Ehrlich, Jude war.“ Dennoch ist Pemper gegen kollektive Schuldzuweisungen: „Das System war verbrecherisch und hat Menschen verführt, die sonst kaum Straftaten begangen hätten“. An einen, welcher der Propaganda widerstand, erinnert er bei jedem Vortrag: das war ausgerechnet ein junger SS-Mann im KZ Plaszów, wo bis zu 600 Männer der SS und Polizei stationiert waren. Eines Tages wurde eine junge jüdische Mutter mit „arischen Papieren“ aufgegriffen. Der SS-Mann sollte sie und das Kind erschießen, aber er weigerte sich. Er bekam Beförderungs- und Ausgangssperre, „sonst ist ihm weiter nichts passiert“. – Den Befehl führte dann ein älterer Polizei-Wachtmeister aus.

Ob Pemper die Deutschen haßt? Auch diese Frage wird ihm immer wieder gestellt. „Ich kann niemanden hassen“, sagt er, „denn ich bin gegen Verallgemeinerungen. Die Menschen werden sich nur höher entwickeln, wenn das Prinzip des Individuellen Schule macht: schuldig macht sich immer der Einzelne und nur der einzelne muß sich dafür verantworten!

© 1999Birgit Pauli-Haack 1997