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Special: Steven Spielberg

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Süddeutsche Zeitung v. 27. Januar 1997

„Das Schlimmste konnte ‘Schindlers Liste‘ nicht zeigen“

SZ: Herr Pemper, Spielbergs Film „Schindlers Liste“ haben alleine in Deutschland weit mehr als acht Millionen Menschen gesehen. Wie erklären Sie als ehemaliger enger Mitarbeiter Oskar Schindlers sich diesen Welterfolg?

Pemper: Ich habe ihn nicht vorausgesehen. Als ich im April 1993 auf Einladung von Spielberg bei den Dreharbeiten in Krakau war, fragte er mich, wie der Film in Deutschland wohl ankommen würde. Ich sagte: „Er wird genauso abgelehnt wie das Buch von Thomas Keneally. Man will nicht an die Vergangenheit erinnert werden!“

SZ: Es kam aber doch anders.

Pemper: Ja. Vielleicht, weil inzwischen eine neue Generation herangewachsen ist, die wissen möchte, was wirklich geschehen ist und warum. Vor allem habe ich wohl die Wirkung des Mediums Film und die Zugkraft von Steven Spielberg unterschätzt. Ich habe ihm das später auch geschrieben und mich quasi für meine falsche Prognose entschuldigt.

SZ: Sie waren dabei, als die berühmte Liste zusammengestellt wurde. Im Film schreibt sie Izhak Stern, den Ben Kingsley spielte. Sie kommen nicht vor.

Pemper: Spielberg hat aus mir und meinem Freund Stern eine Person gemacht, obwohl er wußte, daß wir ganz verschiedene Aufgaben im Lager hatten (Stern war für die Werkstattabrechnungen zuständig). Er sagte mir, er müsse „focussieren“, also die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf wenige Personen konzentrieren. Aus Gründen der Dramaturgie hat er auch die Entstehung der Liste stark vereinfacht dargestellt. Im Film diktiert sie Schindler dem Stern in die Schreibmaschine. Das wäre schon technisch nicht möglich gewesen: 1000 Namen mit Geburtsdatum, Beruf usw. Daran haben wir in der Abteilung Arbeitseinsatz der Lagerkommandantur viele Tage lang gearbeitet.

SZ: In seiner Abschiedsrede bei Kriegsende am 8. Mai 1945 hat Schindler Sie namentlich genannt. Die Überlebenden sollten sich, so sagte er, bei Stern und Pemper und einigen anderen für die Rettung bedanken. Worin lag Ihr Beitrag?

Pemper: Schindler bekam von mir verschlüsselte Informationen über alles, was ich als Stenograph von Amon Göth legal und illegal erfahren konnte. Er wußte auch, daß ich im Sommer 1943, als viele andere Arbeitslager aufgelöst und die Gefangenen in die Vernichtungslager transportiert wurden, durch „geschönte“ Angaben über angebliche Rüstungspotentiale im Lager Krakau-Plászow mit dazu beigetragen habe, daß dieses Lager ab 1944 zu einem „Konzentrations-Stammlager“ erklärt wurde und so fortbestehen konnte. Deshalb gab es dort viel mehr Überlebende. Das war ein lebensgefährliches Täuschungsmanöver.

SZ: Im Film sieht man Göth in wahren Schreckensszenen. Hat sich das alles so abgespielt? Oder hat Spielberg übertrieben?

Pemper: Im Gegenteil. Ich kann mich an ein Diktat erinnern: Das Fenster war offen. Göth hatte in seinem Büro einen Rückspiegel, um zu sehen, was hinter ihm geschah. Darin sah er nun draußen einen Häftling mit einem Schubkarren. Vielleicht ruhte der sich aus oder hatte zu wenig Steine geladen, jedenfalls ging Göth zum Fenster, erschoß den Mann, kam zurück und fragte: „Wo sind wir stehengeblieben?“. – Aber das war ja ein fast komfortabler Tod. Viel schrecklicher war das Zerreißen durch Göths Hunde: die gefleckte Dogge Rolf und den Schäfer-Wolf-Mischling Alf. Das habe ich Spielberg auch gesagt. Er antwortete, das könne man im Film nicht zeigen. Er wollte die ganze Welt erreichen und bewegen. Und das ist ihm gelungen, dafür werden ihm alle Überlebenden immer danken.

SZ: Gab es auch andere Abweichungen von der Realität?

Pemper: In einer Szene entsteht der Eindruck, Göth habe sich der jüdischen Haushälterin Helene Hirsch nähern wollen. Es mag sein, daß sein Marketing-Experte in Hollywood diese „Einlage“ durchgesetzt hat. Aber die Szene stimmt gewiß nicht. Göth hatte die NS-Rassengesetze völlig verinnerlicht. Kontakte zwischen SS-Männern und Jüdinnen im Lager waren tabu. Das hat unsere Frauen vor solchen Übergriffen bewahrt. Aber Filme haben ihre eigenen Gesetze, sie brauchen offenbar attraktive „Action“. Das hat wohl zum Welterfolg von „Schindlers Liste“ beigetragen. Das Gegenbeispiel: der „Shoah“-Film von Lanzmann. Fachleute rühmen ihn als dokumentarisch wertvoll, aber wieviele Menschen haben ihn gesehen? Und welcher der beiden Filme hinterließ den tieferen Eindruck?

SZ: Glauben Sie, daß der Holocaust zu verhindern gewesen wäre, wenn es mehr Deutsche wie Schindler gegeben hätte?

Pemper: Nein, die Vernichtung der Juden war eines der Hauptziele Hitlers. Aber mehrere Schindlers hätten mehr Menschen retten können. Er war jedoch eine Ausnahme. Ein außergewöhnlicher Mann – aber nur für außergewöhnliche Zeiten, deshalb auch seine Erfolglosigkeit vor und nach dem Krieg. Bei ihm kamen mehrere positive Faktoren zusammen: seine Unvoreingenommenheit gegenüber Juden, die er als Schulfreunde gekannt hatte. Dazu der Zufall, daß er einen jüdischen Metallbetrieb übernommen hatte, der auch Rüstungsgüter herstellte – hätte er sich nur auf die Emailwaren beschränkt, wäre die Rettungsaktion unmöglich gewesen. Und er war nicht obrigkeitshörig. Er war aus dem Sudetenland, hatte einen „Schweijk“ in sich, den Spaß an Tricks und Listen. Und er hatte ethische Grundsätze – von der frommen Mutter, vom Lehrer, ich weiß es nicht. Vielleicht von den Kontakten mit der Canaris-Gruppe, die patriotisch war, aber nicht nazistisch.

SZ: Sie meinen Admiral Canaris, der nach dem Attentat vom 20. Juli hingerichtet wurde?

Pemper: Ja. Schindler war angeblich vor dem Krieg Mitarbeiter der Breslauer Außenstelle der Abwehrorganisation von Admiral Canaris. Diese Hintergründe müßten einmal ausgeleuchtet werden!

SZ: Keneallys Buch enthält keine Hinweise, und Spielberg hat sich dafür nicht interessiert.

Pemper: Für ihn stand nur das Menschliche im Vordergrund. Er hatte keinen Kassenschlager im Sinn, der Film war für ihn eine Hommage an seine Mutter und ein Denkmal für die getöteten Juden.

© 1999Birgit Pauli-Haack 1997