Kids im Nazi-Regime
Widerstand Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus

von Michael Lichte


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Zusammenfassung

Wie in Punkt 3. schon erwähnt, war der Widerstand Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus ein spontaner Widerìstand, der kaum politisch oder ideologisch untermauert war. Vielmehr handelte es sich um eine generelle Verweigerung und Opposition, die, im Gegensatz zur Weißen Rose oder zu den konfessionellen Jugendgruppen, auch nicht von christlichen und ethischen Werten getragen wurde. Die Jugendlichen wehrten sich einfach gegen die immer stärker werdende Unterdrückung durch den nationalsozialistischen Staat.

Deutlich erkennbar ist das an der Tatsache, daß gerade nach Kriegsbeginn die Jugendopposition anstieg. Ab diesem Zeitpunkt wurde das gesamte Leben der Jugendlichen von den Nationalsozialisten hundertprozentig bis ins Kleinste reglementiert, so daß sie nahezu keinen Freiraum für ihre Bedürfnisse mehr hatten. Faktisch kann man sagen, daß die Jugendlichen in den Jahren 1939 - 1945 mehr oder weniger nahtlos von der Kindheit in die Erwachsenenwelt übergingen. Das sogenannte Erwachsenwerden, die Pubertät, wurde von den Nazis außer acht gelassen. Die Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen ignoriert.

Dominierend war bei den Jungen wie auch bei den Mädchen die vollständige Vorbereitung auf den Kriegseinsatz. Auch im privaten Bereich mußten die Jugendlichen die Rolle von Erwachsenen übernehmen, um zu Hause den Vater, der an der Front war oder die Mutter, die in der Rüstungsin dustrie arbeiten mußte, zu ersetzen.

Ebenfalls darf die muffige Spießigkeit des nationalsozialistischen Staates nicht übersehen werden. Alles was nicht in das kleinbürgerliche Denken der Nazis paßte, wurde verboten.

Das traf natürlich besonders die Jugendlichen. In der Pubertät findet die zweite Trotzphase statt, in der die Jugendlichen die Erwachsenenwelt, deren Werte und Normen generell anzweifeln und versuchen ihre ersten eigenen Erfahrungen zu machen. Neue Interessen entwickeln sich und die Sexualität wird entdeckt.

Von den Nazis wurde diese normale Entwicklung vollständig blockiert. Den Jugendlichen wurden ihre Interessen vorgeschrieben und durch das spießige Denken der Nazis wurde auch die aufkommende Sexualität unterdrückt. Etwa durch konsequente Geschlechtertrennung bei der HJ. Jugendliche die ihren altersspezifischen Bedürfnissen nachgehen wollten, wurden mit Strafe bedroht.

Doch auch mit immer drakonischer werdenden Strafen konnten die Nazis nicht verhindern, daß, besonders mit zunehmender Kriegsdauer, der Jugendwiderstand immer mehr zunahm. Faktisch kann man sagen, daß die Jugendlichen durch die Maßnahmen der Nazis regelrecht in die Opposition gedrängt wurden.

Um sich altersgerecht ausleben zu können, blieb nur die Möglichkeit etwas außerhalb derherrschenden Gesellschaftsordnung zu tun. Da aber diese Gesellschaftsordnung vollkommen mit der Nazi-Ideologie durchsetzt war, einer Ideologie die keine Abweichungen duldete, führte eine Subkultur automatisch zum Konflikt mit dem Staat. Es genügte nur anders zu sein oder andere Interessen zu haben, um diesen Konflikt auszulösen.

Das wird am Beispiel der Swing-Jugend deutlich. Bei der Swing-Jugend handelte es sich um eine jugendliche Subkultur, die nicht etwa nur auf Deutschland begrenzt war. Sie existierte am Ende der dreißiger Jahre in den meisten westeuropäischen Ländern und in den USA. Es war damals die gleiche Erscheinung wie in den Sechzigern die Hippie -Bewegung oder heute Punks, Heavy Metal Fans-Bewegung, Techno-Fans u.s.w., praktisch eine Jugendmode. Genauso wie heute wollten die Jugendlichen ihre eigene Kultur haben, eine Kultur, die sich von der der Erwachseìnen unterschied. Ihnen ging es in erster Linie darum ihre Musik zu hören, dazu zu auf ihre Weise zu tanzen und das auch durch ihre Kleidung nach außen hin deutlich zu machen.

Für die Nazis war das eine Provokation, weil hier gegen ihre Dogmen und ihr kleinbürgerliches Denken verstoßen wurde. Außerdem sahen sie durch die Existenz einer eigenständigen Jugendkultur ihr Erziehungsmonopol gefährdet. Die Folge war, daß eine harmlose Jugendmode rücksichtslos verfolgt und brutal bestraft wurde.

Bei den Edelweißpiraten lag die Sache etwas anders.

Hier handelte es sich nicht nur um eine jugendliche Modeerscheinung, vielmehr hatte sich hier eine jugendliche Autonomiebewegung entwickelt, die ihre Wurzeln in der Wandervogelbewegung hatte. Man wollte sich in seiner Freiheit nicht durch den Staat und die Gesellschaft einschränken lassen. Das wurde dadurch verstärkt, daß die meisten Mitglieder des Edelweißpiratenim Gegensatz zur Swing-Jugend, aus der Arbeiterklasse kamen. Sehr früh eingeschränkt durch die üblichen Zwänge der Arbeitswelt, hatten diese Jugendlichen verstärkt den Wunsch nach einer unreglementierten Freizeit und eine starke Abneigung gegen den militärischen Drill der HJ.

Ihre soziale Herkunft führte auch dazu, daß viele der Edelweißpiraten von der bloßen Verweigerung zum aktiven Widerstand übergingen. Ein großer Teil der Jugendlichen war im Geiste der Arbeiterbewegung erzogen wurden, was zu einem Antifaschismus führte. So wurden Bartholomäus Schink und seine Geschwister von ihrem Vater streng antifaschistisch erzogen. Die Folge war, daß diese Jugendlichen schon sehr früh dem nationalsozialistischen System ablehnend gegenüberstanden. Durch schlechte Erfahrungen der Jugendlichen mit dem Nazi-Regime wurde aus der Ablehnung Haß, der sich in Prügeleien mit der HJ, Widerstandsaktionen und zum Schluß im bewaffneten Widerstand ausdrückte.

Abschließend wäre noch die Frage zu klären, warum der Widerstand dieser Jugendgruppen bis heute nur in geringem Maße oder ganicht gewürdigt wird?

Im Falle der Edelweißpiraten und speziell bei der "Ehrenfelder Gruppe" wird der Widerstand abgewertet und sogar geleugnet. So dauert z.B. der Kampf um die Anerkennung von Bartholomäus Schink als Widerstandskämpfer schon über vierzig Jahre!

Am 31.Dezember 1952 stellte die Mutter von Bartholomäus Schink, Gertrud Schink, einen Antrag auf Anerkennung ihres Sohnes als politisch Verfolgten. Dieser Antrag wurde nach zehn Jahren abgelehnt, mit einer ähnlichen Begründung wie 1963 im Falle Peter Hüppeler, wo es im Bescheid des Kölner Regierungspräsidenten unter anderem hieß:

"...Der verstorbene Verfolgte erfüllt offensichtlich nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 1 BEG. Hiernach ist nur Verfolgter, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt wurde und hierdurch einen Schaden erlitten hat.

Wenn auch der Zeuge Heinrich Schneider...angibt, daß der Verfolgte ein politischer Gegner des NS-Regimes gewesen sei, so kann doch aus dem vorgetragenen Sachverhalt geschlossen werden, daß der Erblasser der als Verbrecherbande bekannten "Ehrenfelder Clique" angehörte. Diese Bande hatte in Köln-Ehrenfeld den Ortsgruppenleiter Soentgen, den Polizei-Inspektor Schiefer und den Nachtwächter Klockenberg ermordet und außerdem eine Reihe schwerer Diebstähle und Raubüberfälle begangen..."

In einem anderen Fall war die Begründung:

"...Die Kriminalpolizei in Köln ist davon überzeugt, daß von den festgenommenen Terroristen(!) am 10.11.1944 13 Personen ohne Gerichtsverhandlung und ohne Gerichtsurteil öffentlich erhängt wurden, um die Bevölkerung von weiteren Terrorakten abzuhalten. Die Exekution ohne gerichtliches Urteil bedeutet zwar einen Rechtsbruch, der nur durch die damaligen Verhältnisse zu erklären ist..."

Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, daß die Mitglieder der Ehrenfelder Gruppe auch heute noch als Verbrecher angesehen werden.

Zur Beurteilung der Anträge auf Wiedergutmachung wurden die Gestapo-Akten herangezogen und auf Grund dieser Akten wurden die Entscheidungen getroffen! Insgesamt heißt das, daß die Edelweißpiraten von offizieller Seite nicht als Widerstandskämpfer anerkannt werden, mit der Begründung, daß ein politisches Konzept der Edelweißpiraten nicht erkennbar wäre.

Meiner Meinung nach spielen hier noch andere Gründe eine Rolle.

Die Edelweißpiraten stammten nicht aus alten adeligen Faìmilien. Ihre Väter waren keine Politiker oder keine Prominenten. Die Jugendlichen waren keine Intellektuellen, sondern einfache Arbeiterjugendliche.

Geschichte wird, jedenfalls aus der Sicht des Staates, wohl immer noch von bedeutenden Persönlichkeiten gemacht und nicht von einfachen Jugendlichen.

Deshalb wird diese Ecke des Widerstandes einfach ignoriert und weiterhin kriminalisiert.

Nicht nur das, heute werden wieder junge Antifaschistinnen und Antifaschisten kriminalisiert, während unbelehrbare Nazihetzer vor Gericht als gute Staatsbürger gelobt und milde beurteilt werden!


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© Birgit Pauli-Haack 1997

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