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Widerstand






mehr über's Projekt

Die Weiße Rose

Mut machen für den Aufstand des Gewissens


SZ vom 28.06.1997

Bundespräsident Herzog eröffnet heute Ort der Erinnerung für die Weiße Rose

Eine Denk-, keine Gedenkstätte

Protokoll der Gestapo und von Professor verfaßtes „Täterprofil“ erstmals zu sehen

Von Christine Burtscheidt

Ordnungsgemäß, wie jeden Tag, begab sich auch an diesem 18. Februar 1943 der Universitäts-Schlosser Jakob Schmied gegen elf Uhr auf seinen Kontrollgang durch das Universitätshauptgebäude. Drei, vier, fünf Stufen ging er vom ersten Stock in den Lichthof hinab – da sah er, wie größere Mengen von Papier von der Galerie in die Halle herabflatterten. Es waren Flugblätter. „Kommilitoninnen! Kommilitonen! Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad“; es war der sechste und letzte Aufruf der studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose, den nationalsozialistischen Terror „aus der Macht des Geistes“ zu brechen. Schlosser Schmied handelte pflichtbewußt. „Ich habe mich nun nicht lange besonnen und auch nicht weiter überlegt...Ich war schon nach etwa einer Minute auf dem Gang im 2. Stock und habe dort einen unbekannten Studenten und eine Studentin gesehen“, heißt es in dem späteren Vernehmungsprotokoll der Gestapo. „Ich bin sofort auf die beiden zugegangen und habe ihnen ohne Umschweife gesagt, daß sie mit mir kommen müssen.“

Hans Scholl protestierte: „Es ist eine Unverschämtheit, einen in der Universität festzunehmen!“ Seine Schwester Sophie gestand sofort, die Kopien von der Rampe in den Lichthof geworfen zu haben. Schmied brachte die Geschwister zum Universitäts-Syndikus Dr. Haeffner, der sie der Gestapo auslieferte. Minuten später wurden sie vor den Augen ihrer Kommilitonen abgeführt. Vier Tage danach waren sie tot – verurteilt vom Volksgerichtshof „wegen Hochverrat“ und durch das Fallbeil hingerichtet.

Eine Textexegese

Noch am Tag der Verhaftung bot sich Professor Harder an, für die Gestapo ein passendes Täterprofil zurechtzulegen. Der Altphilologe interpretierte dazu im wissenschaftlichen Duktus vier Flugblätter: „Typische Blickrichtung des Intellektuellen“, „Predigen des passiven Widerstands“, „banale ausländische Propaganda“, „lässt die christliche Katze aus dem Sack“, „stammt aus ausländischen Sendern“, „aus dem Bolschewismus“ und zuletzt „ist eine Aufforderung zur Sabotage“, lautet das Ergebnis der Textexegese, aber auch: „Habe zur Nachprüfung keinerlei Möglichkeit.“ Ein eindrucksvolles Zeugnis, wie sich gerade auch Wissenschaftler freiwillig in den Dienst der Schreckensherrschaft begeben haben.

Das Gutachten von Harder sowie das Vernehmungsprotokoll des Universitäts-Schlossers Schmied sind Teil der ersten Ausstellung „Ermittlungen“ in der „Denkstätte Weiße Rose“. Im Beisein von Überlebenden der Widerstandsgruppe wird heute Bundespräsident Roman Herzog mit Oberbürgermeister Christian Ude und LMU-Rektor Andreas Heldrich den Ausstellungsraum gleich hinter dem Lichthof, dem einstigen Ort des Geschehens, eröffnen. Die Universitätsleitung ist sich dieses schwarzen Kapitels in ihrer sonst so traditionsreichen Geschichte bewußt; sie hat sich nun entschlossen, aus Anlaß des 525. Geburtstag der LMU, den sie an diesem Samstag feiert, die ehemaligen Gaderobenräume des Audimax der Stiftung Weiße Rose zum Gedenken an ihre hingerichteten Mitstreiter zu übergeben.

Daß es sich dabei um eine Denk- und keine Gedenkstätte handeln soll, darauf legt Stiftungssprecher Franz J. Müller wert. „Die Weiße Rose wird weit über ihre historische Bedeutung hinaus als Symbol für Freiheit und Toleranz begriffen.“ Es soll ein Ort sein, an dem man einerseits Informationen zu den Widerstandskämpfern von damals erhält, andererseits über aktuelle Formen der Verletzung von Menschenrechten aufgeklärt wird. Die Denkstätte ist täglich von 10 Uhr bis 15 Uhr geöffnet. Copyright © 1997 - Süddeutsche Zeitung. SZonNet 3.1