Vernichtungskrieg
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Inhaltsverzeichnis


SZ vom 10.03.1999

Der Saarbrücker Anschlag
Eine Bombe gegen Bilder

Von Martin Zips

Saarbrücken, 9. März – Mit Ärger hatte man gerechnet, selbst noch auf der 31. Station der Wanderausstellung. Und tatsächlich marschierten gleich zu Beginn, Mitte Februar, 400 Springerstiefelträger durch die Saarbrücker Innenstadt, aus Protest gegen die Schau „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944“. Dann demonstrierten 1300 Menschen für die Präsentation im Festsaal des Volkshochschulzentrums. Doch das hatte es in anderen Städten genauso gegeben. Auch hier sah sich die Lokalzeitung plötzlich mit einem Berg von Leserbriefen konfrontiert – viele davon gespickt mit extremistischen Parolen. All das also nichts Neues.

Dann detoniert die Bombe, und plötzlich ist alles anders. Am Dienstag morgen zündet sie um 4.34 Uhr direkt vor dem Ausstellungsgebäude auf dem Schloßberg. Die Druckwelle läßt Fenster splittern, die Dachrinne wird abgerissen, das Dach beschädigt, Stühle und Tische werden gegen Wände und in den Garten geschleudert. In der alten evangelischen Schloßkirche zerbersten die gerade restaurierten Chorfenster aus dem 15. Jahrhundert.

Stunden später stehen an der Absperrung am Schloßplatz Polizisten im Regen. Zwei waren für den Ausstellungsdienst eingeteilt. Sie sollten in den Räumen aufpassen, daß Kinder nicht die Exponate vollkritzeln. Das kommt bei den Schulklassen schon mal vor, 250 waren bisher angemeldet, aus Deutschland und Frankreich. Ruhig sei es gewesen, sagen die zwei. Trotz der bisher 9000 Besucher. Ab und zu mal ein Wortgefecht, eine Diskussion zwischen älteren und jüngeren Männern. Das war’s. In den Räumen suchen nun Kollegen vom Bundeskriminalamt nach Spuren. Ein Selbstbezichtigungsbrief ist bisher nicht aufgetaucht, die Polizei sagt, es gebe noch keine Hinweise. Nur ein Sprecher der Volkshochschule wagt die Prognose, daß die Täter wohl in der „rechten Szene“ gesucht werden müßten. Eine Polizeibeamtin erinnert sich an einen Mann, der am Morgen zu ihr gesagt habe: „So eine Scheißausstellung. Die Bombe war viel zu schwach.“

Das Klima in Saarbrücken war aufgeheizt. Vier Tage vor dem Attentat hatten der Stadtverband der CDU in der Saarbrücker Zeitung eine Anzeige gegen die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung von Jan Philipp Reemtsma geschaltet. „Unsere Väter waren keine Mörder!“ hieß es da. „Fragwürdiges“ und „völlig undifferenziertes“ Material werde gezeigt, alles sei „unglaublich einseitig“. Im Text wurde auch der Bonner Kulturminister Michael Naumann angegriffen, weil er die Wehrmacht als „marschierendes Schlachthaus“ bezeichnet habe. Fazit: „Wir lassen unsere Väter von diesen Ausstellungsmachern und ihren Hilfstruppen nicht unwidersprochen als Verbrecher und Mörder diffamieren!“

CDU-Landeschef Peter Müller hatte die Anzeige gutgeheißen. Den Anschlag am Dienstag verurteilt er aber als „kriminelle Tat eines Wahnsinnigen“. Dies ändere freilich nichts an der Kritik der Union. Für den 17. März hatte die CDU-Fraktion eine Anfrage im saarländischen Landtag zur Wehrmachtsausstellung angekündigt; dabei bleibt es.

Kurz vor der Detonation habe eine Nachtstreife das VHS-Gebäude noch überprüft, sagt Polizeisprecher Klaus Siegler. Alle zwanzig Minuten sei kontrolliert worden. Möglicherweise seien die Täter über eine Treppe auf das nahe der Saar gelegene Schloßplateau gekommen. Dort steht ein Gedenkstein: „Den Opfern zum Gedenken. Und zur Mahnung. Nie wieder Faschismus.“ Dahinter liegen Scherben und Stühle. „Ich hatte damit gerechnet, daß sie was auf die Wände sprühen oder mal einen Stein schmeißen“, sagt Ingrid Schöll, die Leiterin der Volkshochschule, nicht aber „mit einem derart professionell gebastelten Sprengsatz“.

Der Schaden wird auf eine halbe Million Mark geschätzt, die Exponate selbst wurden durch die Explosion kaum beschädigt. Nach der Spurensicherung des BKA muß erst mal überprüft werden, ob die Statik des 45 Jahre alten, denkmalgeschützten Kulturhauses beschädigt ist. „Wenn es nach uns geht, dann läuft die Ausstellung am Wochenende weiter. Planmäßig bis Ende März“, sagt die VHS-Leiterin. Dann ist die Ausstellung in Köln gebucht. Die Volkshochschuldirektorin, die erst seit sechs Monaten im Amt ist, gibt sich kämpferisch: „Natürlich habe ich Angst“ sagt sie. „Aber wer vor der Angst kapituliert, der hat schon verloren.“


© Birgit Pauli-Haack 1997
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