Vernichtungskrieg
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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SZ vom 18.03.1999
„Nestbeschmutzer“ und „Brandstifter“

Die Bombe, die Verbrechen tilgen sollte
Auch nach dem Attentat auf die Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken reden die Politiker im Landtag aneinander vorbei

Von Martin Zips

Saarbrücken, 17. März – Mitten in dem Photo, auf dem ein von der Wehrmacht angestecktes weißrussisches Dorf in Flammen aufgeht, ist ein Loch. In den Räumen der Saarbrücker Volkshochschule vermischen sich eine Woche nach dem Bombenattentat die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Was auf den schwarzweißen Exponaten der Wehrmachtsausstellung dokumentiert wird, setzt sich ringsum fort. Hunderte von Löchern in den Wänden – dort, wo die Scherben nach dem Attentat wie Granatsplitter in den Wänden steckten. Notdürftig wurden die Türen wieder im Mauerwerk verankert, provisorisch die Fenster durch Plastikplanen ersetzt, eine Säule gestützt. Auch die Fenster der Schloßkirche müssen erneuert werden. Hunderttausende kostet das.

Seit Sonntag hat die Ausstellung auf dem Saarbrücker Schloßberg wieder geöffnet. Trotz lästiger Sicherheitsvorkehrungen haben allein an diesem Tag knapp 900 Menschen die Präsentation besucht. Am Mittwoch beschäftigte sich der saarländische Landtag in einer emotionalen Debatte mehr als drei Stunden mit Ausstellung und Attentat. Die CDU forderte Ministerpräsident Reinhard Klimmt (SPD) dazu auf, als Schirmherr zurückzutreten. SPD und Grüne hatten einen eigenen Antrag vorgelegt, der die Ausstellung ausdrücklich begrüßt – ein ähnlicher Antrag war in Niedersachsen zuvor von CDU-Mitgliedern mitgetragen worden. Mit einfacher Mehrheit verabschiedeten SPD und Grüne ihren Antrag. Gegen die Stimmen der Saar-CDU.

„Warum immer das eigene Nest beschmutzen, andere Völker haben auch Verbrechen begangen“, schrieb ein Besucher in das Gästebuch der Ausstellung. Am gleichen Tag ging bei der Lokalzeitung das Bekennerschreiben ein. Weil ein technisches Detail der Zündung beschrieben wird, gehen die Ermittler davon aus, daß es authentisch ist. Weitere Einzelheiten sind derzeit von der Polizei nicht zu erfahren.

„Mein Vater hat als Wehrmachtsangehöriger die besten Jahre seines Lebens verloren. Deshalb habe ich ihn nicht in Verdacht“, argumentiert CDU-Fraktionsvorsitzender Peter Müller in seiner Rede vor dem Plenum. „Gänzlich unerträglich“ sei es für ihn, von Oberbürgermeister Hajo Hoffmann in die Nähe von Neonazis gerückt oder von der SPD als „Brandstifter“ bezeichnet zu werden. Erst nach einer halben Stunde Redezeit verurteilt Müller den Anschlag. Unter der Überschrift „Wehrmachtsausstellung so nicht!“ hatte seine Fraktion vor dem Anschlag in einer Zeitungsanzeige gegen die Präsentation des Hamburger Instituts polemisiert. Klimmt sagt, man dürfe die CDU nicht mit dem Attentat in Verbindung bringen. Gleichzeitig beharrt er auf seine Schirmherrschaft. „Für mein politisches Engagement war die Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit außerordentlich wichtig.“

Auf dem Schloßplatz warten unterdessen 50, 60 Menschen auf Einlaß. Eine alte Frau soll ihre Einkaufstüten ausräumen. Ein Paar Schuhe, ein Bademantel, etwas Obst. „Muß das wirklich sein?“, fragt sie den Sicherheitsbeamten. Volkshochschulleiterin Ingrid Schöll erholt sich in einem Café von dem Streß, den Diskussion und Bombe ihr zusätzlich verursachten. Zusammen mit ihren Mitarbeitern hat sie beschlossen, die Ausstellung so schnell wie möglich weiterzuführen. Zusammen mit ihnen hat sie, die erst sechs Monate Leiterin der VHS Saarbrücken ist, ein Sicherheitskonzept erarbeitet. Personenkontrollen am Eingang, 24stündige Bewachung, nachts ringsum grelle Scheinwerfer. „Ich zermartere mir ständig den Kopf, was wir vergessen haben könnten.“ Der Ministerpräsident und der Oberbürgermeister kamen zur Wiedereröffnung, berichtet haben die Medien darüber trotzdem nicht: Lafontaine war zurückgetreten.

Noch bis Ende März ist die Wanderausstellung in Saarbrücken zu sehen. 50 weitere Orte haben sie gebucht. Bereits vor dem Anschlag sei die Stimmung unter den Mitarbeitern nervös gewesen, sagt Schöll. Jetzt erst recht. „Die Ausstellung eignet sich nicht als Thema für den Wahlkampf“, meint die 43jährige. „Warum können die Parteien nicht einfach eine demokratische Erklärung verabschieden, daß so eine Präsentation grundsätzlich zu begrüßen ist?“ Hiervon ist man freilich im Landtag weit entfernt. CDU-Chef Müller spricht von „Denunziation“ und „Pauschalisierung“ und fordert „Wahrheit in der Erinnerung“. Daran ändert auch Klimmts Plädoyer nichts. Dieser will die Ausstellung vor allem als Anstoß gegen den Krieg als solchen sehen. Man redet einfach aneinander vorbei.

In der Ausstellung beugen sich zwei alte Männer über das Gästebuch, deuten auf den Eintrag einer Schülerin: „Ich finde es erschreckend, daß es immer noch Menschen gibt, die solche Taten leugnen“, hat sie geschrieben. Der eine liest es und schüttelt den Kopf: „Armes Deutschland.“


© Birgit Pauli-Haack 1997
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