Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

[doku] [aktuell] [literatur] [links] Previous Page TOC Next Page

Persönliche Töne zur Wehrmacht
Bundestag debattierte über umstrittene Dokumentation
Von Helmut Lölhöffel
FR vom 15. März 1997

Debatte im Deutschen Bundestag
1. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gerald Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der heutigen Debatte geht es um unsere Haltung zu der schlimmsten und entscheidenden Phase unserer eigenen deutschen Geschichte, und es geht darum, wie wir heute dazu beitragen können, daß sich die planmäßige Vernichtung von Menschen, von ganzen Völkern lediglich auf Grund ihrer Rasse oder ihrer Überzeugungen nie wiederholt.

Es gab in diesem Hause und in dieser Republik lange Zeit einen Konsens zwischen den demokratischen Parteien, daß man die Rechtsextremen, die Ultrarechten, die Neonazis keinen Fuß mehr auf den Boden dieser Republik stellen oder in die Tür dieser Republik stemmen läßt. Dieser Konsens ist in den letzten Wochen aufgekündigt worden, und zwar von einer Partei, die in diesem Hause sitzt und diese Bundesregierung mitträgt: von der CSU. Ich meine, daß ein klares Wort der Verantwortlichen in der Christlich-Sozialen Union und ein klares Wort dieser Bundesregierung dazu nötig ist.

Wie ist es dazu gekommen? Die Ursache ist eine Ausstellung, die bereits in 15 deutschen Städten gezeigt worden ist -- sie ist gegenwärtig in München zu sehen --, eine Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Diese Ausstellung ist keine Pauschalverurteilung aller Wehrmachtsangehörigen. Sie wissen, daß, wenn man die gesamte Zeit des Zweiten Weltkrieges betrachtet, 18 Millionen Deutsche in der Wehrmacht gedient haben. Darunter sind viele, die dies aus Überzeugung taten, sicher aber auch viele, die ihren Wehrdienst wider eigenen Willen erfüllt haben und die Taten mitgemacht oder sich verweigert haben, wenn sie diese selbst nicht billigen konnten und nicht richtig fanden. Es geht also nicht um eine pauschale Verurteilung.

Vielmehr geht es darum, mit der Lüge aufzuhören, daß für alle schlimmen Taten nur die SS verantwortlich gewesen sei und daß die Wehrmacht im Osten einen sauberen, einen hehren, einen tapferen Feldzug geführt habe, der nichts mit den brutalen, nichts mit den rassistischen Ideen Hitlers und nichts mit den Greueltaten dieses Krieges zu tun hatte. Die Wahrheit ist, daß die Wehrmacht gerade im Osten einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt hat und daß in diesem Krieg unter der Verantwortung der Wehrmacht Millionen von Zivilisten, Frauen und Kinder, grundlos hingemordet worden sind. Wer zu dieser Wahrheit schweigt, wer sie verdrängen will, wer unsere eigene Geschichte verfälscht, der trägt dazu bei, daß die Geschichtsklitterung in diesem Land um sich greift, der trägt dazu bei, daß rechte Mythenbildung wieder fröhliche Urständ feiert. Genau das passiert gegenwärtig in München.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Attacken auf den Initiator dieser Ausstellung, Jan Philipp Reemtsma, der Versuch, die Toten durch Zigarettenrauch mehr zu dramatisieren als die Toten im Zweiten Weltkrieg, der Versuch, Reemtsma sogar damit zu diskreditieren, daß er im letzten Jahr Opfer einer Entführung geworden ist, der Versuch, die Nürnberger Prozesse -- während wir alle uns gegenwärtig um einen internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien und Ruanda einsetzen, damit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen das Völkerrecht, gegen das Menschenrecht in Zukunft endlich abgeurteilt werden können -- als "Siegerjustiz" und die Ausstellung als Teil eines "moralischen Vernichtungsfeldzuges gegen das deutsche Volk" zu bezeichnen, wie das der "Bayernkurier" auf seiner Titelseite gemacht hat, das alles ist schlimmer als die schlimmste Propaganda von rechts, die wir in diesem Lande bisher erdulden mußten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb war es nur folgerichtig, daß die NPD Peter Gauweiler aufgefordert hat, die Hauptrede bei dem gespenstischen Aufmarsch der Ultrarechten in München zu halten und ihn darüber hinaus zur Mitgliedschaft in der NPD eingeladen hat.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Albert Schmidt?

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte schön.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Häfner, sehen Sie den CSU-Vorsitzenden und Abgeordneten Dr. Theo Waigel im Saal? Falls nicht, welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, der gehört nun wirklich hier hin! --

Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das war eine starke Zwischenfrage! --
Zurufe von der CDU/CSU)

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Kollege Schmidt, ich glaube, daß der eigentliche Skandal -- so schrieb es z.B. "La Repubblica" in Italien, und so schreiben es viele andere internationale Zeitungen -- gar nicht die Äußerungen von Gauweiler sind, sondern der eigentliche Skandal ist das Schweigen der CSU und der Bundesregierung zu diesen Vorgängen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Was mich, lieber Kollege Schmidt, empört, ist, daß Theo Waigel, der Vorsitzende der CSU, der übrigens einmal Außenminister in diesem Land werden wollte -- dabei hat kaum ein Politiker in den letzten Jahren diesem Land so schweren außenpolitischen Schaden zugefügt wie Gauweiler und seine politischen Freunde --, nicht nur dazu schweigt, sondern offensichtlich auch noch vor der Auseinandersetzung in diesem Hause flieht.

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Er ist doch da!)

-- Da kommt er ja doch noch. Ich hoffe, lieber Kollege Waigel, daß Sie Gelegenheit ergreifen werden, heute zurechtzurücken, was Ihre Partei gegenwärtig in Bayern aufführt. Wenn die Pressemeldungen, die ich gelesen habe, stimmen, dann haben Sie das, was Gauweiler und der "Bayernkurier" gesagt haben, als im Spektrum der CSU und "im Spektrum einer legitimen Kritik liegend" bezeichnet. Ihr Sprecher, der Sprecher des CSU-Landesvorstandes, Herr Schöberl, hat gesagt, Gauweilers Äußerungen lägen voll und ganz "auf der Linie der Bayerischen Staatsregierung und der CSU." Ich lese Ihnen ein kurzes Zitat vor:

Rechtsextremistische Positionen ergeben sich weniger aus dem Parteiprogramm denn aus Begründungen und Verhaltensweisen von Funktionären, Gremien und Mitgliedern sowie aus den Publikationsorganen.

Was ist das für ein Zitat?

Es ist die Einleitung zum Kapitel "Die Republikaner" im Bundesverfassungsschutzbericht aus dem vergangenen Jahr. Es folgt eine Reihe von Zitaten, in denen die Republikaner zum Beispiel die Nürnberger Prozesse als Siegerjustiz bezeichnen -- genau wie der "Bayernkurier" das vor wenigen Wochen getan hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese "Braune-Socken-Politik" der CSU, dieses Taktieren mit dem ultrarechten Sumpf unserer Republik, dieser Versuch, die Opfer von Folter und Vernichtung zu verdrängen und kein Mitleid für sie aufzubringen, dafür aber um so mehr diejenigen anzuprangern, die heute die Wahrheit über die historische Vergangenheit feststellen wollen, und ihnen vorzuwerfen, sie führten einen "moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk", das ist etwas, was diese Republik nicht ertragen will, was sie nicht dulden kann und was sie zurückweisen muß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Deshalb haben wir dem Deutschen Bundestag einen Antrag vorgelegt, von dem ich hoffe, daß er in diesem Hause die Spreu vom Weizen scheiden wird. Denn ich habe immer noch die Hoffnung, daß auch in der Union, in der CDU und in der CSU, genügend Menschen -- ich habe in den letzten Tagen mit vielen gesprochen -- von dieser Politik und von diesen Äußerungen angewidert sind -- übrigens nicht nur von Gauweiler und der CSU in München, sondern auch von den Äußerungen von Frau Steinbach in Frankfurt und von vielen anderen, die sich in diese rechte Dreckwerferei einreihen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Ich habe also immer noch die Hoffnung, daß es in Ihren Reihen noch genügend Menschen gibt, die bereit sind, sich davon zu distanzieren und die Worte zu finden, die jetzt notwendig sind. Ich bin insbesondere gespannt darauf, wie sich der Bundesminister der Finanzen und Vorsitzende der CSU, Theo Waigel und der Bundeskanzler zu dieser Frage äußern werden. Denn ich bin der Meinung: Nach all dem, was in diesem Land an Schaden angerichtet worden ist, wäre Schweigen zu diesem Thema nicht länger hinnehmbar. Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Previous Page TOC Next Page


© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999