Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944
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Frankfurter Rundschau vom 15. März 1997

Persönliche Töne zur Wehrmacht
Bundestag debattierte über umstrittene Dokumentation


Von Helmut Lölhöffel
BONN. Sie erzählten von ihren Vätern, ihren Brüdern, ihren Onkeln und ihren Großeltern. Es waren ungewöhnliche Szenen im Bundestag am Donnerstag abend: Plötzlich begannen Abgeordnete, über Schicksale zu sprechen - Schicksale aus dem Zweiten Weltkrieg.

"Wir müssen lernen, darüber zu reden", sagte die Parlamentarierin Christa Nickels von den Bündnisgrünen, und gestand, daß es ihr selbst schwergefallen sei, sich mit ihrem Vater über dessen Zeit als Wehrmachtssoldat auseinanderzusetzen. Der SPD-Abgeordnete Freimut Duve, der vor kurzem das Haus gefunden hatte, aus dem seine Großmutter deportiert worden war, mahnte: "Uns alle wird der Krieg nicht verlassen bis zu unserem Tod. Wir müssen sehr behutsam damit umgehen."

Anlaß für diese Worte war eine Diskussion über die umstrittene, zur Zeit in München ausgestellte Dokumentation "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944". Es war eine tief ernsthafte, streckenweise hochklassige Aussprache, geprägt von den Auftritten der Abgeordneten Alfred Dregger (CDU) und Otto Schily (SPD). Dregger, ehemaliger Bataillonskommandeur, erzkonservativer politischer Haudegen, und Schily, der von den Grünen zu den Sozialdemokraten gewechselte intellektuelle Rechtsanwalt, machten die im Parlament vorhandenen gegensätzlichen Sichtweisen deutlich. Der Christdemokrat sprach vom braven deutschen Landser und vom "verlorenen Krieg". Die Wehrmachtsausstellung wolle "hetzen und verleumden" und damit, so sagte Dregger, "Deutschland ins Mark treffen. Dagegen wehren wir uns."

Schily bemängelte, daß sich die CSU-Oberen zu den Münchner Angriffen gegen die Ausstellung aus ihrer Partei "in Schweigen hüllen". Und dann berichtete er von den Kriegserlebnissen seines Vaters, seines Bruders, eines Onkels und seines Schwiegervaters, der als jüdischer Partisan gegen die deutsche Nazi-Diktatur kämpfte. Eine Zeitlang versagte Schily tränenerstickt die Stimme, und ergriffen hörte der Bundestag zu, welchen Schluß er zog: Daß sein Schwiegervater es war, der "gegen die Vollstrecker des Rassenwahns sein Leben eingesetzt" hatte. Alle Soldaten, die Deserteure waren, "haben das Richtige getan", sagte Gerhard Zwerenz von der PDS, der selbst desertiert war.

Der Ton der Debatte beeindruckte Dregger. Er sei bereit, Kritik an sich zu "überprüfen", sagte er. Schily hatte ihn zuvor einen "Starrsinnigen" genannt.

Der Freidemokrat Otto Graf Lambsdorff nannte, trotz Kritik an "methodischen Mängeln", die Ausstellung "notwendig". Der Christdemokrat Heiner Geißler sagte: "Es verbietet sich jede Mystifikation eines angeblich sauberen Krieges."

Am Ende meldete sich der CSU-Vorsitzende Theo Waigel zu Wort, der wie andere vom Vater und vom Bruder erzählte und den die Debatte "berührt und aufgewühlt" hat. Er sprach von "Gerechtigkeit und Barmherzigkeit". Über die Ausfälle seiner Münchner CSU-Parteifreunde ging er aber hinweg.

Es paßte zum Stil dieser abendlichen Debatte mit vielen persönlichen und versöhnlichen Tönen, daß am Ende nicht - wie sonst - geschäftsordnungsmäßig die vorliegenden Anträge zur Abstimmung aufgerufen wurden. Die Fraktionsführungen einigten sich, die Texte in Ausschüssen beraten zu lassen - mit dem Ziel, vielleicht eine gemeinsame Entschließung zuwege zu bringen.

FR vom 15. März 1997

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