Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Debatte im Deutschen Bundestag
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Volker Rühe.

Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch 52 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist es nicht einfach, über die Rolle der Wehrmacht zu sprechen. Es ist aber, glaube ich, für uns alle sehr bewegend, wie der Deutsche Bundestag darüber spricht. Name und Handeln der Wehrmacht sind mit einer einzigartigen politischen und moralischen Katastrophe verbunden: mit der Diktatur des Nationalsozialismus, der Ungeheuerlichkeit seiner Verbrechen, mit millionenfachem Leiden und Sterben, mit dem Zusammenbruch Deutschlands und allen seinen Folgen.

Aber ebenso ist der Name der Wehrmacht mit dem Widerstand gegen Hitler und mit dem Attentat auf den Tyrannen verbunden, mit dem Einsatz des Lebens für Freiheit, Recht und Würde. -- Mich hat sehr bewegt, was Graf Lambsdorff gesagt hat. Denn mir als jungem Mann hat das Studium des Widerstands sehr viel Hoffnung gegeben. Deswegen ist es richtig, was Sie gesagt haben, daß der jungen Generation dieses Stück Hoffnung verweigert wird, indem das nicht angesprochen wird. Insgesamt 18 Millionen Deutsche haben als Soldaten in der Wehrmacht gedient. Viele von ihnen haben Unvorstellbares erleben müssen, Schreckliches erlitten oder sind eines grausamen Todes gestorben. Viele sind in der Gefangenschaft umgekommen. Die Überlebenden -- und das ist das Verdienst von Dr. Dregger und anderen -- haben an maßgeblicher Stelle geholfen, dieses Land wieder aufzubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Erfahrungen der Wehrmachtssoldaten sind die Erfahrungen der Generation unserer Väter. -- Ich darf sagen: Mich hat auch sehr bewegt, wie die Frau Kollegin Nickels über ihren Vater gesprochen hat. Das erfordert schon viel Kraft und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. -- Diese Erfahrungen wirken in vielen Familien bis heute nach. Unsere Verantwortung verlangt, daß wir uns kritisch mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen, um die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Heroisierung und unkritische Rechtfertigung verbieten sich ebenso wie eine pauschale Verurteilung. Das Gebot heißt Aufrichtigkeit, Nachdenklichkeit und Differenzierung. Alles andere ist nicht nur unhistorisch, sondern auch unmenschlich und unredlich.

Wenn es um die Wehrmacht geht, haben wir nur die Möglichkeit, der ganzen Wahrheit ins Auge zu sehen. Der Glaube, die Wehrmacht sei der weitgehend unbefleckte Hort von Anstand und Ehre inmitten der nationalsozialistischen Barbarei gewesen, diese These ist durch die historische Forschung der letzten Jahre widerlegt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr 1995 in München über das Verhältnis Wehrmacht--Bundeswehr folgendes gesagt -- jedes Wort gilt bis heute --: Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen.

Ich sagte dann weiter: Nicht die Wehrmacht, aber einzelne Soldaten können traditionsbildend sein, wie die Offiziere des 20. Juli, aber auch wie viele Soldaten im Einsatz an der Front. Wir können diejenigen, die tapfer, aufopferungsvoll und persönlich ehrenhaft gehandelt haben, aus heutiger Sicht nicht pauschal verurteilen. Aber wir dürfen uns nicht auf rein militärische Haltungen und Leistungen beschränken. Entscheidend sind Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Die Wehrmacht war die Armee einer Diktatur. Objektiv war sie das Instrument Hitlers zur Führung eines verbrecherischen Angriffskrieges. Ihre militärischen Erfolge waren -- vor allem im Osten -- die Voraussetzung für Unrecht und Vernichtung. Die Wehrmacht hat großes Leid gebracht; ihre Soldaten selbst haben großes Leid erlitten. Es greift aber zu kurz, nur von "der" Wehrmacht zu sprechen -- auch Graf Lambsdorff hat das angesprochen --, so als ob sie ein verantwortlicher Akteur gewesen sei. Diese Redeweise führt zu falschen Schuldzuweisungen. Schuld ist aber immer persönlich. Kollektivurteile über das Handeln der Wehrmacht sind genauso haltlos wie die Rede von der Kollektivschuld der Deutschen. Historische und moralische Wahrhaftigkeit fängt mit einer genauen Betrachtung und präziser Sprache an. Die Wehrmacht bestand im Laufe der Jahre aus Millionen von einzelnen Deutschen -- jeder mit eigenen, unverwechselbaren Erfahrungen, eigenen Hoffnungen und Idealen, eigenen Wünschen und Ängsten, jeder mit eigener Würde.

Wahr ist auch, was der Widerstandskämpfer Axel von dem Bussche gesagt hat: "Ein Großteil der Treue gegenüber dem obersten Kriegsherrn ist bona fide geleistet worden" -- in gutem Glauben, nach bestem Wissen und Gewissen. Daß der subjektiv ehrenhafte und tapfere Dienst objektiv mit dem Einsatz für ein verbrecherisches System einherging, das macht die Tragik soldatischen Pflichtbewußtseins im Zweiten Weltkrieg aus. Zur Wahrheit über die Wehrmacht gehört aber auch der militärische Widerstand gegen Hitler. Die Frauen und Männer und die handelnden Offiziere im Widerstand folgten ihrem Gewissen. Sie stellten die Würde des Menschen über den bedingungslosen Gehorsam, die Treue zu ihrem Land über die Gefolgschaft zu einem Diktator; sie traten dafür mit ihrem Leben ein. Mancher fand erst spät zum Widerstand. Aber wer von uns hätte heute das Recht, darüber zu richten?

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Peter Zumkley [SPD])

Der Versuch, die Nazidiktatur zu beseitigen, scheiterte tragisch. Aber das Opfer war nicht umsonst. Es hat Deutschland die Ehre und Würde wiedergegeben, die die Naziverbrecher unserem Land geraubt hatten. Alle aus meiner Generation, die die Chance hatten, in dieser Demokratie groß zu werden, schulden diesen Männern unendlich viel. Wir hätten es viel schwerer gehabt, wieder in die Gemeinschaft der gesitteten Nationen aufgenommen zu werden, wenn es nicht diesen Versuch gegeben hätte, die Ehre Deutschlands wiederherzustellen. Unendlich viel verdanken wir ihnen! (

Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Werte, für die die Frauen und Männer des Widerstands litten und starben, gehören heute zu den ideellen Grundlagen unserer Nation und zum moralischen Fundament der Bundeswehr. Es ist kein Zufall, daß der Bundesverteidigungsminister seinen Dienstsitz im Bendlerblock in Berlin genommen hat.

Viele ehemalige Wehrmachtssoldaten haben die Bundeswehr mit aufgebaut. General de Maizire, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, hat sehr eindrucksvoll berichtet, welch lange innere Prüfung seiner Entscheidung vorausging, 1955 wieder Soldat zu werden. Besonders kostbar sind ihm -- das darf ich, auch nach dem, was Freimut Duve gesagt hat, noch einmal sagen -- die zentralen Elemente unserer Wehrverfassung: der Primat der Politik, die parlamentarische Kontrolle, die institutionelle, rechtliche, geistige und soziale Verankerung der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft und die Bindung von Befehl und Gehorsam an Recht und Gesetz. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur, mit dem Zweiten Weltkrieg und mit der Wehrmacht ist ein unerläßlicher Bestandteil staatsbürgerlicher Bildung. Die gegenwärtige Diskussion zeigt, daß noch viel sachliche und differenzierte Aufklärung not tut. Zahlreiche ausgewiesene Fachhistoriker haben teilweise erhebliche Kritik an der Zielsetzung, an der inhaltlichen Ausgestaltung und am wissenschaftsmethodischen Ansatz der Ausstellung, über die wir reden, geübt.

Die Behauptung, daß erst mit der Ausstellung die Diskussion über die Rolle der Wehrmacht begonnen habe, ist schlicht falsch. Die historische Wissenschaft ist längst viel weiter. Besonders das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr hat sich bei der Aufarbeitung der Geschichte des Deutschen Reiches verdient gemacht und in der internationalen Wissenschaft große Anerkennung erworben. Die Bundeswehr hat sich von Anfang an der ganzen deutschen Geschichte gestellt, mit ihren Höhen und Tiefen. Tradition -- das muß auch noch einmal festgehalten werden -- ist aber nicht gleich Geschichte. Tradition ist die bewußte Auswahl von Ereignissen und Menschen, von Haltungen und Taten, die beispielgebend sind. Die Werteordnung des Grundgesetzes ist dafür Orientierungsrahmen. Ein solches Verständnis läßt Raum, vorbildliche soldatische Haltung und hervorragende militärische Leistungen aus allen Epochen der deutschen Militärgeschichte in die Tradition der Bundeswehr zu übernehmen. Die Bundeswehr stützt sich auf die freiheitlichen Werte der deutschen Militärgeschichte. Im übrigen hat sie inzwischen auch eine eigene, wie ich finde, sehr eindrucksvolle Tradition entwickelt:

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

als erste Wehrpflichtarmee in der Demokratie, geprägt vom Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, integriert und geachtet in der Nordatlantischen Allianz, als Vorreiter der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn im Osten, bewährt beim Aufbau der Armee der Einheit und vor allem im internationalen Einsatz für den Frieden und für Menschen in Not. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

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© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999