Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Debatte im Deutschen Bundestag
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ehe ich dem nächsten Redner das Wort gebe, begrüße ich auf der Besuchertribüne den Präsidenten der Nationalversammlung der Islamischen Republik Mauretanien mit einer größeren Delegation.

(Beifall)

Wir freuen uns, Herr Präsident, über Ihren Besuch auch hier im Plenum und hoffen, daß er dazu beiträgt, die traditionell guten Beziehungen zwischen unseren Ländern weiter zu vertiefen. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Kolbow, SPD. Walter Kolbow (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unser früherer Kollege und Oberbürgermeister von München, Hans-Jochen Vogel, hat recht: Der Streit über die sogenannte Wehrmachtsausstellung hat Formen angenommen, die den demokratischen Grundkonsens in München -- und nicht nur dort -- in Frage gestellt haben. Ich hatte gehofft -- sicherlich mit vielen hier im Saale --, daß die heutige Debatte dazu beiträgt, den Grundkonsens in der Bewältigung des nationalsozialistischen Verbrechensregimes zu bewahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion war in der Vorbereitung auf diese Debatte -- bei Zustimmung zum Antrag der Grünen-Fraktion -- der Meinung, sich beim Antrag der Regierungskoalition wegen der letzten Passage enthalten zu sollen. Die Rede des Herrn Kollegen Dregger allerdings -- ich muß das objektiv hier vortragen -- hat viele Kolleginnen und Kollegen in meiner Fraktion in dieser Haltung wanken lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie werden sicherlich ihren Schluß auch aus dem Fortlauf der Debatte ziehen. Im übrigen ist durch den zweiten Beitrag von Ihnen, Herr Kollege Dregger, Ihre erste Einlassung relativiert worden; ich will das konstatieren. Ich bin aber beklommen -- ich sage dies auch sehr persönlich --, mich hier gar zum Zensor oder zum Beurteilenden des Kollegen Dregger oder anderer aufschwingen zu wollen, weil die Abarbeitung unserer Vergangenheit nach der Weise "Ignorieren oder Aufarbeiten" immer wieder von uns allen mit all den Unzulänglichkeiten versucht wird, die in uns selbst stecken. Wenn erst jetzt über den Heydrich-Stellvertreter Werner Best eine vorzügliche Biographie erschienen ist, die aufarbeitet, welche Verbrechen die Angehörigen des Reichsicherheitshauptamtes begangen haben, dann weist das darauf hin, auf welchem Weg wir uns noch immer befinden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Wehrmacht.

(Beifall bei der SPD)

Im Resümee dessen, was viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner gerade aus meiner Fraktion -- Kollege Schily und Kollege Duve, aber auch andere -- beeindruckend geschildert haben, müssen wir sagen, daß Joachim Fest recht hat, wenn er in seinem Buch "Staatsstreich" über das Verhalten der Wehrmachtsführung im Rußlandfeldzug feststellt: Jetzt war es Hitler im ersten Anlauf gelungen, die selbst in Polen noch gewahrte Trennung zwischen der herkömmlichen Kriegsführung und dem Mordgeschäft der Einsatzgruppen aufzugeben und das eine mit dem anderen zum Gesamtbild eines einzigen, alle Waffenträger kriminalisierenden Vernichtungskrieges zu verklammern. Von jener 'Verstrickung' wider Willen und Wissen, -- so schreibt er -- die in den Apologien der Beteiligten so oft beschworen worden ist, konnte seither keine Rede mehr sein. Dies stellt unter Einräumung von Unzulänglichkeiten, die das Ergebnis nicht in Frage stellen, auch diese in Rede stehende sogenannte Wehrmachtsausstellung fest, zwar selektiv, aber objektiv an drei Beispielen aus dem Zweiten Weltkrieg: am Partisanenkrieg, den Geschehnissen in Serbien und am Vorgehen der 6. Armee in Weißrußland.

(Unruhe)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Entschuldigung, Herr Kollege Kolbow. Ich muß Sie einen Augenblick unterbrechen. Wir haben bisher eine sehr gute und sehr ruhige Debatte geführt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde es angemessen, daß wir den Rednern, die jetzt noch zu sprechen haben, die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie bisher. Ich möchte ganz generell sagen: Ich mag es nicht, wenn in den ersten Reihen den Rednern der Rücken zugewendet wird. Ich finde das nicht in Ordnung. Walter Kolbow (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. Diese Ausstellung bietet uns, die wir -- ich bin 1944 geboren -- im Krieg oder später geboren wurden, keinen Anlaß zu moralischer Überheblichkeit. Ich wünsche mir, daß ich zu den Mutigen -- auch Sie, Herr Kollege Lambsdorff, haben davon gesprochen; Sie sind auf Grund Ihres Lebensalters und Ihres Lebensschicksals viel betroffener, als ich es sein kann -- gehört hätte. Ich sage aber ganz offen: Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Mut zum Beispiel der Geschwister Scholl oder den eines Soldaten gehabt hätte, der sich schützend vor Juden gestellt hat. Diese Ausstellung ist also nicht das, wozu sie ihre Gegner machen wollen. Sie ist eben keine Verurteilung, sondern Anlaß, sich an erster Stelle mit sich selber und unserer Geschichte auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Diese Ausstellung zeigt nicht den Widerstand, den es auch gab. Sie zeigt lediglich in einem Fall die menschliche Größe eines deutschen Offiziers, wie er versuchte, jüdische Kinder vor ihrem Schicksal zu bewahren. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes hat in diesem Zusammenhang den interessanten Vorschlag gemacht, die in Rede stehende Wehrmachtsausstellung mit der Ausstellung "Hitler und der Widerstand: Aufstand des Gewissens" zu kombinieren. Unabhängig davon muß es möglich sein -- Kollege Hirsch hat mit dieser Initiative recht; viele werden sich anschließen können --, diese Ausstellung auch in Bonn zu zeigen, und zwar im Haus der Geschichte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

In der sehr öffentlich geführten Diskussion fragen sich und uns hier im Parlament und in den Wahlkreisen -- in Leserbriefen, in Anrufen und auch in Rededuellen mit uns -- nicht wenige: Muß diese Ausstellung überhaupt sein: Bilder des Grauens, die Alpträume oder Schuldgefühle wachrütteln, über ein halbes Jahrhundert danach? Fragen und Einsichten, die quälend sind und überdies die Erinnerungen überschatten können, auch an Tote und Menschen, die wir gekannt, gemocht, geliebt haben, die lediglich ihrer Wehrpflicht gefolgt sind. Ich sage den Menschen, wenn sie mich fragen: Ja, diese Ausstellung muß sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Deshalb hat auch der zivilcouragierte Oberbürgermeister von München recht, wenn er die Frage, ob die Ausstellung auch in München zu sehen sein soll, folgendermaßen beantwortet: Sie soll sein. Er hat auch gesagt -- auch das bitte ich einzubeziehen --: Eine Zensur findet nicht statt, und hier schon gar nicht.

(Beifall bei der SPD

) Dadurch sind vor Ort und auch in anderen Teilen unseres Landes Sturm und Böen entstanden. Dabei denken wir nicht so sehr an die Böen rechtsextremistischer Splitterparteien und unverbesserlicher Neonazis. Sie sind ärgerlich genug. Sie werden am besten mit der richtigen Mischung behandelt -- wie Hans-Jochen Vogel es formuliert hat -- aus still schweigender Verachtung, deutlichem Widerspruch und klugem Einsatz rechtsstaatlicher Mittel.

(Beifall bei der SPD)

Aber in München drohte eine Gefahr für den Grundkonsens. Auch das kann man nicht ersparen: Herr Gauweiler, der "Bayernkurier" und die NPD säten Sturm. Es ging nicht mehr um die Wehrmachtsausstellung, sondern darum, den politischen Gegner zu verteufeln und auf Grund von Mißbrauch nationaler Empfindungen zumindest Unfrieden gegen diejenigen zu säen, die auch dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte nicht ausweichen, sondern den Verbrechen während der NS-Gewaltherrschaft und den Ursachen, die zur Katastrophe geführt haben, auf den Grund gehen wollen. Es ging ab sofort um den Mißbrauch der Wehrmachtsausstellung zu parteipolitischen Zwecken, um sich im rechtesten Lager besser zu positionieren. In diesem Zusammenhang ist das bei der Aufarbeitung unserer Geschichte nicht nur unredlich, sondern undemokratisch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ja, wir wollen differenzieren -- das sage ich dem Kollegen Lambsdorff und anderen, die dies einfordern --, weil es für den Erhalt des Grundkonsenses wichtig ist. Ich hoffe, dabei auch einen persönlichen Beitrag zu leisten. Aber diese Einsicht herrscht nicht überall vor. Wenn ich einen Leserbrief aus dem "General-Anzeiger", der am 11. März 1997 erschienen ist, zitieren darf, dann wegen der Bedeutung des Amtes, das der Verfasser ausgeübt hat. Ein gewisser Heinz Trettner schrieb: Es dürfte heute erwiesen sein, daß der Krieg gegen die Sowjetunion -- anders als die Umerziehungspropaganda behauptet -- in erster Linie ein nur schweren Herzens begonnener, aufgezwungener Präventivkrieg war. Dieser Herr Trettner ist nicht irgend jemand, sondern ein Vier-Sterne-General der Bundeswehr außer Dienst, der von 1964 bis 1966 Generalinspekteur der Bundeswehr war. Ein völlig anderes Beispiel für die Aufarbeitung von Geschichte bietet dagegen der erst vor kurzem 85 Jahre alt gewordene ehemalige Generalinspekteur, General de Maizie`re, dessen Erkenntnis "Auch Unterlassen kann schuldig machen" eine tiefe Wahrheit in griffige Worte faßt. Wahr ist aber auch, daß beide Offiziere der Bundeswehr gedient und diese mit aufgebaut haben, wie im übrigen auch viele Offiziere aus der Wehrmacht, ohne deren Bereitschaft, wieder als Soldat zur Verfügung zu stehen, die Aufstellung der Bundeswehr gar nicht möglich gewesen wäre. Das moralische Dilemma wird deutlich in den persönlichen Schicksalen. Es wird auch deutlich in dem, was Kollege Dregger hier zuerst gesagt hat. Ich will abschließend feststellen, daß es den Ausstellungsgegnern nicht gelingen kann, Angehörigen der Bundeswehr das Gefühl zu geben, diese Ausstellung kränke auch sie. Zum einen ist die Bundeswehr selbstbewußt genug, diese Ausstellung zu besuchen. Hohe Offiziere mit Soldaten aller Dienstgradgruppen haben dies getan. Dies verdient Anerkennung, obwohl es normal sein muß.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum anderen besteht der schwerwiegende Unterschied zum Dritten Reich aus den gezogenen Konsequenzen für Eid bzw. feierliches Gelöbnis. Ich darf unterstreichen, was der Kollege Duve hierzu gesagt hat. Aber auch hier, Kolleginnen und Kollegen, ist die Schlußfolgerung im Soldatengesetz für die Bundeswehr gezogen worden; denn die Bundeswehr jedenfalls schränkt Befehl und Gehorsam auf gesetzlicher Grundlage ein und mißt den Befehl an Recht und Gewissen. Wenn dies im Dritten Reich möglich gewesen wäre -- da stimme ich dem Kollegen Zwerenz zu --, dann hätten wir vieles vermeiden können. Weder der bayrische Ministerpräsident noch der CSU-Vorsitzende haben sich von den Žußerungen von Herrn Gauweiler distanziert. Der Reporter der "Süddeutschen Zeitung", Herr Stiller, hat in dieser Woche bedauert, daß Sie mit der CSU-Landesvorstandssitzung, Herr Kollege Waigel, die letzte Gelegenheit versäumt hätten, die Sache Gauweiler und den "Bayernkurier" in Ordnung zu bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich bitte Sie, ja ich fordere Sie auf: Tun Sie dies heute im Interesse des Freistaates Bayern, im Interesse auch unseres Landes, aber auch der politischen Kultur in unserem Lande! Heute besteht diese Gelegenheit. Mir geht bei den haßerfüllten Tiraden in München der Satz von Adorno durch den Kopf, daß das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie potentiell bedrohlicher ist als das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Herr Waigel, tun Sie als Demokrat Ihre Pflicht!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Auf der Tribüne hat ebenfalls der Präsident der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums Luxemburg mit einer Delegation Platz genommen.

(Beifall)

Herr Präsident, es ist, vermute ich, eher ein Zufall, daß Sie dem Plenum des Deutschen Bundestages während dieser Debatte einen Besuch abstatten. Aber vielleicht trägt dieser Zufall dazu bei, daß Sie die demokratischen Abgeordneten des demokratischen Parlaments der Bundesrepublik Deutschland ein bißchen besser verstehen als vorher. Das würde zur Vertiefung unserer Beziehungen wesentlich beitragen. Ich freue mich sehr, daß Sie da sind.

(Beifall)

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© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999