Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Debatte im Deutschen Bundestag
Das Wort hat jetzt der Kollege Heiner Geißler, CDU/CSU. Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der überwiegende Teil der Diskussion heute nachmittag hat gezeigt, daß wir uns mit Grund und mit Ernsthaftigkeit in diesem Parlament nicht über eine Žußerung, die jemand getan hat, oder über die Ausstellung und ihre Mängel oder auch Vorzüge auseinandersetzen. Das ist nicht der eigentliche Grund. Vielmehr habe ich aus einigen Reden die drängende Frage herausgespürt, die auch Frau Nickels aufgeworfen hat: Warum konnte das eigentlich geschehen? Ich finde, diese Frage ist deswegen von so großer Bedeutung, weil unsere Väter und Großväter das miterlebt haben. Mein Vater war noch Leutnant im Ersten Weltkrieg. Auf dieser "voie sacree'" von Bar le Duc nach Verdun -- Bar le Duc war der letzte Bahnhof, auf dem die französischen Soldaten ausgeladen worden waren -- fuhr man 40 Kilometer. Bei jedem Kilometer wurde der Lärm der Kanonen stärker und stärker, und die Soldaten wußten, daß sie alle in ein unglaubliches Verhängnis hineingingen. Das Ergebnis waren 600 000 tote junge Franzosen und Deutsche -- vergast, erstickt, erstochen, verbrannt, erschossen. Heute stellt sich jedermann die Frage: Warum konnte so etwas passieren? Wir verstehen das gar nicht mehr. Dann waren die Menschen mehr oder weniger froh, als dieser Erste Weltkrieg vorbei war, und hatten gedacht, so etwas passiert nie mehr wieder. Und dann wurde all dieses Entsetzliche noch einmal hundertfach und tausendfach übertroffen durch eine tödliche Kriegsmaschinerie, geleitet von einer verbrecherischen Staatsführung. Dann dachten wir doch: Jetzt hat die Menschheit wirklich erkannt, daß so etwas nicht mehr stattfinden kann. Und jetzt sehen wir: Es geht weiter, während wir hier sind. In den letzten Jahren geschahen wieder Kriegsverbrechen wie Mord und Totschlag und Vergewaltigung und Abschlachten. Jetzt muß man sich doch einmal die Frage stellen: Wo liegen denn die Gründe dafür? Das scheint mir schon sehr wichtig zu sein. Ich habe es auf einem Parteitag meiner Partei schon einmal gesagt; bitte nehmen Sie mir das Zitat nicht übel. Karl Marx hat in einer seiner frühen Schriften sinngemäß gesagt: Der Mensch, wie er geht und steht, ist nicht der eigentliche Mensch, sondern er muß das richtige gesellschaftliche Bewußtsein haben und der richtigen Klasse angehören. Die Nazis haben gesagt: Er muß der richtigen Rasse angehören. Die Nationalisten sagen: Er muß dem richtigen Volk angehören. Heute sagen die Fundamentalisten: Er muß der richtigen Religion angehören. Überlegen Sie einmal, was da eigentlich los war: Die falschen Menschenbilder waren die Ursache für die schlimmsten Verbrechen in diesem Jahrhundert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -- Zuruf von der SPD: Jetzt geht das schon wieder los!) -- Ich darf meine Meinung sagen. -- Je nachdem, ob die Menschen der falschen Klasse oder der falschen Rasse oder dem falschen Volk oder der falschen Religion angehörten, wurden sie deportiert, vergast, in die Luft gesprengt, aufgehängt und erschossen. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Die Kriegsverbrechen der Wehrmacht, die Herr Schily und viele andere geschildert haben, haben sich vor allem konzentriert auf Rußland, auf Osteuropa und waren im Grunde genommen Bestandteile auch der Vernichtung des jüdischen Volkes. Daran haben sich Teile der Wehrmacht beteiligt. Die Deutschen waren aber keine Rassisten, die deutschen Soldaten auch nicht. Aber sie waren Nationalisten als Folge des Versailler Vertrages und von vielem, was in der Weimarer Republik auf die Menschen hereingebrochen war. Sie waren nicht die einzigen Nationalisten, aber Hitler hat die Deutschen mit dem Nationalismus verführt, insbesondere auch die Führung der deutschen Wehrmacht. Da kam plötzlich eine Teilidentität zusammen. Deswegen ist es wichtig, daß wir uns über diese Ursachen, nämlich die falschen Menschenbilder, unterhalten. Dazu gehört eigentlich, daß wir uns alle miteinander -- das sage ich jedem, der diese Ausstellung kritisiert, und jedem, der sie für richtig hält -- auf das richtige Menschenbild besinnen, (Zuruf von der SPD: Und das wäre?) daß nämlich der Mensch so, wie er ist, der eigentliche Mensch ist, in seiner Würde unteilbar. Das gilt für heute, und das gilt für morgen, unabhängig davon, ob er jung oder alt, Mann oder Frau ist, aber eben auch -- das sage ich überall, das sage ich zu meiner Partei, und das sage ich zu jedermann -- unabhängig davon, ob jemand Deutscher oder Ausländer, Schwarzer oder Weißer, Christ, Jude oder Muslim ist. Das Erinnern an die Verbrechen, an die Kriegsverbrechen auch in unserem eigenen Land, an die Kriegsverbrechen, an denen Teile der Wehrmacht beteiligt waren -- so steht es in unserem Antrag --, hat doch den Sinn, daß wir die Zukunft richtig gestalten. Deswegen ist diese Auseinandersetzung wichtig. Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, egal von wem sie begangen werden, ob von deutschen Soldaten, von der SS oder von anderen. Das ist im Moment unser Thema. Nur, das eine muß man auch sagen: Der Vorwurf der persönlichen Beteiligung und der Verstrickung gilt sicher für weite Teile der Generalität, gilt aber nicht für die überwiegende Mehrheit der deutschen Soldaten. Das haben wir auch übereinstimmend festgestellt, und das scheint mir wichtig zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Viele, längst nicht die meisten, sind dieser Verführung zum Opfer gefallen, von der ich gerade geredet habe. Wie sollten sie es angesichts der Erziehung, die sie gehabt haben, und angesichts der Bildungseinrichtungen und der Universitäten auch anders wissen? Man denke an das, was deutsche Professoren zum Thema Nationalismus über lange Jahre gesagt haben. Diese Menschen fielen auch der Repression des Machtapparates zum Opfer und wurden so selber Täter. Aber die überwiegende Anzahl waren eben nicht Verbrecher, auch mein Bruder nicht, der im November 1944 gefallen ist, und ebenso mein Vater nicht. Die Trauer um diese beiden und viele andere Soldaten galt keinen Verbrechern, sondern den Opfern einer von Politgangstern angezettelten Weltkriegsorgie, die -- das muß man jetzt wieder hinzufügen -- auch mittels der Wehrmacht ein apokalyptisches Ende nahm: 55 Millionen Tote, darunter auch 4 Millionen deutsche Soldaten, aber 20 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger, 5 Millionen in den Arbeitslagern verhungerte und totgeschlagene Polen sowie 6 Millionen vergaste Juden -- das war das Ergebnis dieser verbrecherischen Kriegsführung. Angesichts dieser Tatsachen verbietet sich jede Mystifikation eines angeblich sauberen Krieges. (Beifall im ganzen Hause) Es gibt aber auch kein jüngstes Gericht für Kollektive -- das auch nicht! --, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sondern es gibt wie überall die persönliche Verantwortung. Bewältigen können wir die Vergangenheit ohnehin nicht. Dazu hat Richard von Weizsäcker in seiner großen Rede am 8. Mai 1985 gesagt: Wir können sie nicht ungeschehen machen, aber wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt und sich an die Unmenschlichkeit nicht mehr erinnern will, der -- so sagte er sinngemäß -- wird blind für die Gegenwart und auch für die Zukunft. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Zukunft und Gegenwart sind beklemmend genug; ich habe es gerade geschildert. Jeder hat da seine eigene Meinung. Ich stimme nach dem, was ich gehört und in Bildern gesehen habe, weitgehend dem zu, was Graf Lambsdorff gesagt hat. Man kann die Frage stellen, ob es richtig ist, die Kritik an dieser Ausstellung mit Demonstrationen, hin und her, zu begleiten, mit der ungewollten Folge -- es ist ja wahr; das muß man auch einmal sagen --, daß sich auch Links- und Rechtsradikale beteiligen. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Linksradikale? -- Weitere Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) -- Ich sage meine Meinung. Ich finde, wir haben in den Phasen der Debatte gut diskutiert, wo wir die parteipolitische Polemik herausgelassen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -- Zurufe von der SPD) Lassen Sie doch mich diesen Gedanken in aller Ruhe ausführen. Warum bin ich dieser Meinung? Weil diese Leute durch das Aufputschen von Emotionen (Zuruf von der PDS: Gauweiler!) die mehr oder weniger berechtigte Kritik mißbrauchen. Daran beteilige ich mich in diesem Parlament eben nicht, weil wir über etwas anderes reden. Wir sprechen über die Gegenwart und die Zukunft im Erinnern an die Vergangenheit. Deswegen plädiere ich dafür, eine solche Ausstellung, Bücher über die Vergangenheit, über die Verbrechen, die auch die Wehrmacht begangen hat, einfach hinzunehmen, ich würde sagen: demütig hinzunehmen, (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie für ein Verständnis von Vergangenheitsbewältigung?) im Sinne des Wortes von Ignatius, der gesagt hat: Wahrhaftigkeit gegen uns selber, das ist Demut. (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD]) Wir sollten das wahrhaftig gegen uns selber hinnehmen, in Erinnerung an diese 55 Millionen Toten, an die Frauen, an die Mütter, an die Soldaten, die Zivilisten vor allem, alle diejenigen, die ich aufgezählt habe, die Opfer dieser nationalsozialistischen Aggression. Wir sollten daran erinnern, damit unsere jungen Leute sehen können, wozu der Mensch fähig ist, wozu falsche Menschenbilder die Menschen verführen können, damit unsere Kinder fähig werden und bereit sind, in der Zukunft Vorurteile, Feindschaften und Haß zwischen den Völkern zu überwinden. (Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Wir müssen uns versöhnen, auch mit unserer eigenen Vergangenheit. Wir müssen unser Volk versöhnen. Wir müssen unsere Nachbarn mit uns versöhnen. Dies erreicht man nicht durch Vergessen und durch Verdrängen. Vielmehr gilt das große jüdische Sprichwort: Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Daran sollten wir uns alle halten und dies als eine gemeinsame Basis für die Diskussion unserer Vergangenheit nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es tut mir leid, Frau Kollegin Beer. Es ist manchmal schwierig, in einer solchen Debatte den Redner zu unterbrechen, wenn er gerade dabei ist, einen ganzen Gedanken vorzutragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie hatten nach der Geschäftsordnung das Recht, daß ich dazwischengehe; aber es ist mir einfach schwergefallen. Ich bitte um Nachsicht dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

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© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999