Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Persönliche Töne zur Wehrmacht
Bundestag debattierte über umstrittene Dokumentation
Von Helmut Lölhöffel
FR vom 15. März 1997

Debatte im Deutschen Bundestag
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Waigel, CDU/CSU. Dr. Theodor Waigel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich bei der Debatte nur zuhören. Doch diese Debatte und die Wortmeldungen auf beiden Seiten haben mich tief berührt und natürlich auch aufgewühlt. Es ist die Freiheit, die diesem Staat, dieser Demokratie zu eigen ist, eine solche Ausstellung durchzuführen. Das ist völlig unbestritten. Es gibt auch die Freiheit, diese Ausstellung zu kritisieren. Ich bin kein Zensor dieser Kritik. Ich vertrete hier meine Auffassung und bin zutiefst überzeugt, daß es auch die Auffassung meiner Partei ist, obwohl ich diese Rede nicht konzipiert und vorbereitet habe, sondern nur aus ein paar Stichworten heraus gestalten will.

Ich stamme aus Ursberg. Die, die es kennen, wissen, daß es dort eines der größten Behindertenzentren in Deutschland gibt. Dort wurden mehrere hundert Behinderte umgebracht. Darüber hat man uns nach dem Krieg nichts oder fast nichts gesagt. Ich habe das als schlimm empfunden und immer wieder danach gefragt. Es gab nur wenige, die auch damals den Mut hatten -- mutige Klosterfrauen, mutige Priester --, dagegen zu protestieren. Der Superior Huber war einer von denen, die immer wieder gefordert haben, dagegen müsse öffentlich etwas getan werden. Die damaligen Proteste von Kardinal Galen haben zu einem Stillstand geführt, aber nicht verhindern können, was zuvor passiert war. 1944 war in diesem Ursberg, wo noch viele Hunderte Behinderte lebten, zufällig der General der Wehrmacht Oskar Blümm. Seine Frau war ausgebombt und dorthin verschlagen worden. Dann kam die Nachricht, die SS wolle Ursberg besetzen. Was das für Ursberg und für seine Behinderten bedeutet hätte, kann sich jeder ausmalen. Dieser General der Reichswehr hatte den Mut, Ursberg für die Wehrmacht zu beschlagnahmen und die SS hinauszuwerfen. Ich kenne das vorherige Leben des Mannes nicht. Für mich ist er aber ein Held, weil er in dieser Sekunde als Vertreter der Wehrmacht mutig, ungeschützt, unter Gefahr für sein Leben Hunderte von Menschen, vor allen Dingen Behinderte, gerettet hat.

Mein Vater, 1895 geboren, hat den ganzen Ersten Weltkrieg mitgemacht. Im Zweiten Weltkrieg wurde er wieder eingezogen. Als er 1939 von meinem damals 13jährigen Bruder zum Bahnhof gebracht wurde -- mein Vater hat mir das später oft erzählt --, hoffte er, daß dieser Bub nicht auch noch eingezogen würde. Mit 17 Jahren wurde er eingezogen, mit 18 Jahren fiel er in Lothringen. Vor drei Jahren fand ich -- es war verwechselt worden -- sein Grab in Niederbronn im Elsaß -- er war in Lothringen gefallen -- auf einem Friedhof mit 35 000 anderen deutschen Soldaten.

Als ich dort das erste Mal war, wollte es der Zufall oder das Schicksal, daß der Minister für Veteranenangelegenheiten der Französischen Republik, Mestre, dort war und die Einweihung einer deutsch-französischen Jugendbegegnungsstätte vornahm. Er lud mich ein, an dieser Zeremonie teilzunehmen. Dann sagte dort der Mann, der natürlich auch gegen Deutschland gekämpft hatte, in seiner Rede: Ich verneige mich vor den deutschen Soldaten, die ihr Vaterland verteidigen mußten. -- Auch das gehört zur Geschichte. Ein Franzose kann ein solches Wort vielleicht leichter aussprechen als wir.

Es gehört zu den großen kulturellen Leistungen der Zivilisation, daß ein Volk mit seinen Toten versöhnt ist. Zu diesen Toten gehören auch die deutschen Soldaten. Mir fehlt da die Differenzierung; mir fehlt das geschichtliche Gesamtbild -- Graf Lambsdorff, Sie haben das auch erwähnt --; mir fehlt die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit gegenüber Millionen, gegenüber den Opfern, aber auch gegenüber den Millionen von Soldaten. Viele konnten nur in der Wehrmacht überleben. Aus dem kleinen Dorf, aus dem ich stamme, stammte der Reichstagsabgeordnete Fridolin Rothermel, der an der letzten freien Sitzung des Reichstages teilnahm. Wäre er im Juli 1944 nicht bei der Wehrmacht gewesen -- ich weiß das noch von seiner Tochter --, dann wäre er wahrscheinlich abgeholt und umgebracht worden.

Die Partei, deren Vorsitzender ich bin, wurde 1945/46 von Widerstandskämpfern gebildet und konstituiert, von Josef Müller, Alois Hundhammer und vielen anderen, aber auch von den heimgekehrte Soldaten und Offizieren, von untadeligen Männern und natürlich auch von Frauen. Ich denke an heimgekehrte Soldaten und Offiziere und nenne nur Franz Josef Strauß, Franz Heubl, Fritz Zimmermann, Richard Jaeger, Männer, die gerade auch beim Aufbau der Bundeswehr nach dem Krieg eine wichtige Rolle spielten. Der künftige Sitz des Bundesfinanzministeriums in Berlin wird das Gebäude sein, das früher das Reichsluftfahrtministerium beherbergte. Als ich dieses Gebäude einmal besuchte, fand ich in einer Ecke eine Ausstellung über einen Mann, den ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, Harro Schulze-Boysen. Er wurde hingerichtet. In den Mauern des Kerkers hat er ein Gedicht versteckt, das erst nach seinem Tode gefunden wurde. Es lautet:

Die letzten Erdendinge
sind Strang und Fallbeil nicht,
und unsre heutgen Richter
noch nicht das Weltgericht.

Er war Offizier, er war Widerstandskämpfer, mit der Roten Kapelle in Zusammenarbeit, und er war Christ. Sonst hätte er diese Sätze wohl so nicht formulieren können. Oberst Stauffenbergs letzte Sätze waren: Wir haben uns vor Gott und dem Gewissen geprüft. Es muß sein. Das, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist die deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit, auf die wir auch stolz sein können. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. -- Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und Gauweiler?)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist inzwischen vereinbart worden, über die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS nicht abzustimmen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

sondern sie federführend an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? -- Ich höre keinen Widerspruch zu diesen Überweisungsvorschlägen. Dann ist das so beschlossen.

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© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999