Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Debatte im Deutschen Bundestag
Das Wort hat der Kollege Dr. Graf Lambsdorff, F.D.P.

Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine Fraktion hat mich darum gebeten, in dieser Debatte zu sprechen, weil ich vom Mai 1944 bis Kriegsende Angehöriger der deutschen Wehrmacht war.

Ihr Hinweis, Herr Schily, Selbstgerechtigkeit zu vermeiden, ist nur zu berechtigt. Ich habe mich in den vergangenen Jahren oft genug gefragt: Wie hättest du wohl als 18jähriger reagiert, wenn dir ein solcher Befehl erteilt worden wäre? Eine Antwort auf diese Frage habe ich nie gewagt. Ich war allerdings zu jung, um noch am Kriege in Rußland teilzunehmen. Deshalb geht es mir ähnlich, wie es Andrzej Szczypiorski in seiner Eröffnungsrede zur Münchner Ausstellung gesagt hat:

Ich kann nur meine persönliche Auffassung zu diesem Thema äußern. Diese Auffassung wird aber subjektiv sein und auf keinen konkreten Fakten beruhen.

Kann man überhaupt anders als subjektiv und sehr persönlich zu den hier angesprochenen Problemen Stellung nehmen? Kann es hier etwa Partei- oder Fraktionsmeinungen geben? Sicherlich nicht für einen Liberalen, eine liberale Partei, eine liberale Fraktion. Aus solchen Gründen erscheint mir das amtliche Verdikt des bayerischen Kultusministers, die Ausstellung sei "nicht empfehlenswert", falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU] sowie bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Es wird offensichtlich nicht befolgt. Der Andrang in München ist groß. Als ich gestern da war, war die Zusammensetzung der Besucher auffallend: sehr viele junge Menschen, viele ältere Besucher -- offensichtlich Kriegsteilnehmer --, wenige, die vom Alter her dazwischen sind. Die Ausstellungsleitung bestätigte mir, daß dies gestern keine Momentaufnahme gewesen ist. Es hat mich beeindruckt, mit welchem Ernst, mit welcher Stille sich die Besucher verhielten. Die Stimmung erinnerte mich ein wenig an die Gedenkstätten des Holocaust in Jerusalem oder in Washington.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese Ausstellung gut ist. Sie ist es nicht. Sie ist nicht differenziert genug. Sie vermeidet nicht den Eindruck des Pauschalurteils über alle Angehörigen der Wehrmacht, trotz des schriftlichen Hinweises zu Beginn des Kataloges, Herr Schily; das ist zu wenig. Sie hat inhaltliche und historische Defizite. "Sie lügt nicht, und sie lügt doch", schreibt Renate Schostack in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Trotz berechtigter Kritik sage ich aber: Die Ausstellung ist notwendig. Es ist richtig, daß es sie gibt.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die schmerzliche Vergangenheit der jüngsten deutschen Geschichte wird uns immer wieder einholen. Es gehört zur Wahrheit dieser Vergangenheit, daß auch Teile der Wehrmacht, ganze Einheiten, einzelne Offiziere und Soldaten Kriegsverbrechen begangen haben. Noch einmal Andrzej Szczypiorski:

Dieser Krieg konnte nicht ehrlich geführt werden, selbst wenn man es wollte. Denn dieser Krieg war auf die Vernichtung von ganzen Völkern und auf die Umwandlung von anderen Völkern in Sklaven des tausendjährigen Reiches ausgerichtet und kalkuliert.

Ebenso wahr ist aber auch, daß sich der größte Teil der deutschen Soldaten nicht schuldig gemacht hat. Sie haben ihre Pflicht getan. Viele haben in dem Konflikt gelebt, ihrer Eidespflicht genügen zu wollen oder zu müssen, obwohl sie die Natur der verbrecherischen Staatsführung erkannten oder ahnten. Diesen Konflikt macht die Ausstellung nicht sichtbar.

Dadurch erweckt sie den Eindruck von Einseitigkeit. Das beginnt mit ihrem Titel "Verbrechen der Wehrmacht". Die Ausstellung läßt zuviel aus. Ich denke da weniger an das Thema "Verbrechen der Roten Armee"; auch das ist diskutiert worden. Das muß nicht Gegenstand dieser Dokumentation sein. Aber ich denke an die Rolle des militärischen Widerstandes gegen Adolf Hitler. Es ist zumindest ein erheblicher Mangel, daß die Ausstellung nirgendwo sagt, was sie ausläßt, was sie aus dem Geschehen der Jahre 1941 bis 1944 nicht zeigt -- kein einziger Hinweis im Ausstellungsraum, nichts im Katalog. Das verstärkt den Eindruck der Einseitigkeit.

Ich frage die Ausstellungsleitung: Diese Kritik hat es schon Anfang 1996 gegeben. Warum wurde bisher nichts verbessert? Zu den methodischen Mängeln. Die schrecklichen Bilder sprechen eine gänzlich unmißverständliche Sprache. Der aufmerksame Beobachter aber muß sich fragen: Wie viele davon sind authentisch? Er muß sich fragen, wie sie im tatsächlichen Zusammenhang mit den beschriebenen Ereignissen stehen. Ich fand es gestern bemerkenswert, wie intensiv die Besucher die vielen Texte studierten. Sie vermitteln nämlich einen stärkeren Eindruck als die Fotografien -- auch in unserer Zeit, die wohl mehr in Bildern als in Buchstaben sieht und denkt.

Man könne bei einer komplizierten Materie nicht differenzieren, sonst bringe man sie um ihre Wirkung, meint Rudolf Augstein im "Spiegel". Das Gegenteil ist richtig: Differenzierung, bessere historische Zuordnung würde die Ausstellung nur überzeugender machen. Die Fakten sind leider so eindrucksvoll, daß eine sorgfältige Aufbereitung sie wahrlich nicht beeinträchtigen könnte. In einer Fernsehdiskussion hat Heribert Prantl vor einer unnützen Kragenspiegel-Diskussion gewarnt. Wie wichtig diese aber ist, zeigt das Titelbild des "Spiegel" in dieser Woche. Rudolf Augstein schreibt dazu, es handele sich um zwei Offiziere des Regiments Groß-Deutschland. Das ist offensichtlich falsch. Es handelt sich um einen schießenden Wehrmachtsoffizier und einen hohen Offizier der Waffen-SS.

Es ist keine Haarspalterei, daß ich das hier sage. Es zeigt, worauf uns Eugen Kogon kurz nach dem Kriege in seinem Buch "Der SS-Staat" aufmerksam gemacht hat: die vom NS-Regime gezielt herbeigeführte Verstrickung der verschiedensten Organisationen. Dieser Verstrickung haben sich viele Befehlshaber der Wehrmacht nicht entzogen. Der militärische Widerstand wird nicht erwähnt. Schlimmer noch: Im sogenannten Forschungsband zur Ausstellung wird der führende Kopf des letzten auf das Attentat gerichteten Zeitabschnitts, Henning von Tresckow, in die Nähe der Mittäter der Kriegsverbrechen gerückt, weil er Lageberichte aus dem rückständigen Heeresgebiet abgezeichnet, also gekannt habe. Das ist bösartig; es ist verwerflich. Es waren gerade die Verbrechen des Krieges in Rußland, die die Attentäter zu ihrem Entschluß brachten, den schlimmsten aller Verbrecher zu töten. Wer das verschweigt oder gar verneint -- das tut die Ausstellung leider --, entläßt die jugendlichen Besucher ohne Hoffnung.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der letzte Versuch der Offiziere um Stauffenberg, der Versuch von Leber, Leuschner, Goerdeler und vielen anderen, aber war es, der für Deutschland und seine Geschichte so wichtig ist. Er entschuldigt keine einzige Greueltat, aber er läßt Hoffnung für unsere Zukunft. Ich sage es noch einmal mit den Worten Szczypiorskis in München:

Der ritterliche Glanz der Wehrmacht ist eine Legende, die Widerstandsbewegung in Deutschland ist aber keine. Sie war nicht stark, nicht zahlreich, nicht wirksam. Aber es gab sie. Diese Menschen soll man nie vergessen. Denn sie waren Vertreter und Befürworter des wahren Deutschlands, das Achtung und Sympathie der Welt verdiente.

Oder mit den Worten von Tresckows, als er am Abend des 20. oder 21. Juli in den gesuchten Tod in den vorderen Linien ging: Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, daß Gott auch Deutschland um unsertwillen nicht vernichten wird.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999