Shoah Project Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

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Debatte im Deutschen Bundestag
Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz, PDS.

Gerhard Zwerenz (PDS):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lambsdorff, es scheint Ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein, daß es eine Widerstandsausstellung und ein Widerstandsmuseum gibt. Es ist nichts dagegen zu sagen, diese Ausstellungen zusammenzubringen und weiterhin zu vervollständigen. Aber so zu tun, als müsse nun diese Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht, die es ein halbes Jahrhundert eben nicht gegeben hat, alle anderen Ausstellungen in sich aufnehmen, hieße, diese beiden Ausstellungen zu überfordern.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich darf Sie, Herr Kollege Lambsdorff, noch auf den folgenden Punkt hinweisen: Man kann natürlich darüber streiten, wie das Kapitel in dem Buch zur Ausstellung über die Blutschuld der späteren Widerständler und Attentäter zu bewerten ist. Aber Sie können doch wohl nicht abstreiten, daß ein großer Teil dieser Attentäter mit eigenem Blut die Blutschuld, deren sie vorher schuldig geworden sind, abwaschen wollte. Ich muß Ihnen sagen: Der Widerstand ist sehr spät gekommen. Wenn wir nur ganz bestimmte Generäle nehmen, zum Beispiel den durchaus couragierten Pariser Stadtkommandanten General Stülpnagel, und andererseits sehen, was er für eine ungeheure Blutschuld auf sich geladen hat, bevor er Widerständler geworden ist, dann können wir doch jetzt nicht so tun, als wäre das alles nicht wahr.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber darüber wollte ich gar nicht sprechen. Was mich aufrichtig erzürnt, ist, daß es zwei gestanzte Formeln gibt, nämlich erstens von der Wehrmacht, die in Kriegsverbrechen verstrickt gewesen sei, und zweitens, daß die Wehrmachtsausstellung eine pauschale Verurteilung aller 18 Millionen deutscher Soldaten sei. Das redet einer dem anderen nach. Denkt vielleicht wenigstens einer daran, was gewesen wäre, wenn diese 18 Millionen Soldaten ausgerufen hätten: "Wir sind das Volk! Nie wieder Krieg! Mit uns nicht!"? Wenn diese Soldaten dann nach Hause gegangen wären, wäre der Krieg aus gewesen. Ohne diese Wehrmacht hätte es keinen Holocaust, keinen Genozid, keinen Zweiten Weltkrieg und nicht seine 50 Millionen Toten gegeben. Darüber sollte man einmal nachdenken. Das ist doch eine Alternative gewesen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

So haben einige Soldaten gehandelt. Sie sind allerdings mit dem Tode bestraft worden. Es hat außerdem Widerständler der ersten Stunde gegeben, die schon 1933 gesagt haben: Hitler, das ist der Krieg. Aber das waren in der Hauptsache Kommunisten und nur ganz wenige Pazifisten und Katholiken. Deswegen spricht man nicht so gern darüber. Man spricht erst über die Widerständler vom 20. Juli 1944. Auch das ist noch zu bewerten. Ich muß fragen: Wie ist es dazu gekommen, daß wir -- jetzt spreche auch ich als Frontsoldat, als Infanterist -- nach dem 20. Juli 1944 in eine ganz tiefe Verzweiflung gestürzt worden sind? Das waren sehr viele; da gebe ich Ihnen recht, Herr Dr. Dregger. Da war uns klar, wie dieser Krieg enden würde. Wir müssen uns auch daran erinnern, daß in diesem letzten Kriegsjahr mehr Menschen zu Tode gekommen sind als in den gesamten Kriegsjahren zuvor. Man muß also sagen: Diejenigen, die diesen Krieg beenden wollten -- eingeschlossen die Deserteure, aber nicht nur sie --, haben doch wohl das Richtige getan. Sie können sich aber nicht einmal jetzt dazu durchringen, das zuzugeben.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Antrag von CDU/CSU und F.D.P. beginnt mit großen Worten im Wagnerschen Opernton. Ich zitiere: Der Zweite Weltkrieg gehört zu den furchtbarsten Tragödien der deutschen und europäischen Geschichte. Ihr fielen Millionen auch deutscher Soldaten und Zivilisten zum Opfer. Das ist bezeichnend, meine Damen und Herren. Bevor Sie auch nur ein einziges jüdisches, polnisches, russisches Opfer des deutschen Vernichtungskrieges genannt haben, denken Sie sofort an die deutschen Opfer. Täter gibt es in Deutschland offensichtlich nicht. Dabei handelt es sich wohl nur um ganz wenige; sie werden nicht mehr beim Namen genannt.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine winzige Minderheit. Reden wir also nicht von "Verstrickung"; reden wir vom geplanten Genozid. Er ist eben nicht nur von Hitler und von den Leuten, die um ihn herum waren, geplant worden. In den ersten sieben Monaten des Rußlandkrieges sind 3,9 Millionen russische Gefangene gemacht worden. Davon sind 2 Millionen verhungert -- sie hat man verhungern lassen --, und 600 000 russische Gefangene hat man erschossen. Dies ist geschehen, obwohl Sie von der CDU/CSU doch fortwährend herbeten, daß so viele Generäle und Armeekommandeure den Kommissarbefehl nicht an die Truppe weitergeben haben. Ja, wer hat denn dann die 600 000 Russen erschossen? Das war doch nicht ausschließlich die SS; so viele SS-Leute gab es doch gar nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Daß man versucht, sich um diese furchtbaren Wahrheiten herumzuschwindeln, das ist der eigentliche Skandal unserer Zeit. Ich sehe, daß ich am Ende meiner Redezeit von fünf Minuten angekommen bin. Ich möchte schließen. Ich möchte Sie bitten: Bedenken Sie, daß selbst ein Mann, der eine solch stählerne Feder führt wie Friedrich Karl Fromme, in der "FAZ" am 26. Februar 1997 vom "jüdischen Bolschewismus" geschrieben hat, in dem die beiden Hauptfeindbilder der Nazis, das jüdische und das bolschewistische, zusammengeflossen seien. Das Resultat dessen, daß diese beiden Feindbilder in eins zusammengefallen sind, zeigt diese Wehrmachtsausstellung. Sie bringt deswegen etwas Neues, weil sie bewirkt, daß dieses ungeheuerliche, beschämende Gefühl von Schuld unausweichlich jeden trifft, ob er nun selbst subjektiv schuldig ist oder nicht. Dem muß man sich stellen, und das kann man nicht mit solchen Floskeln tun, wie sie jetzt fortwährend fallen. Wenn diese Ausstellung schon nicht, wie mein Freund Graf von Einsiedel und ich angeregt haben -- es war nicht die PDS --, im Foyer des Deutschen Bundestages gezeigt werden darf, dann sind wir wenigstens dafür, daß die Präsidentin des Deutschen Bundestages diese Ausstellung, wenn sie in Bonn gezeigt werden wird, als Schirmherrin eröffnet. Dann hat der Bundestag dieser Ausstellung wenigstens noch seine Reverenz erwiesen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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© Birgit Pauli-Haack 1997 - 1999