kleiner Logo: Shoah Project








Jan Philip Reemtsma
Keneth Kronenberg
Ken McVay & Jamie McCarthy

über's Projekt

Interview mit
Nizkor-Gründer Ken McVay
und
Nizkor-Webmaster Jamie McCarthy

... und ein paar Informationen mehr

SPIEGEL Online:
Mr. McVay, das Nizkor-Projekt, das Sie ins Leben gerufen haben und leiten, ist mittlerweile die umfangreichste Online-Informationsquelle über den Holocaust. Sie machen Gebrauch von dem dort archivierten Material, um revisionistische Behauptungen zu widerlegen, die die historische Realität des Holocaust leugnen, und Sie ermutigen andere, es Ihnen gleichzutun. Versuchen Sie, die Unbelehrbaren zu belehren?

McVay:
Nein. Ich war nie besonders daran interessiert, Holocaust-Leugner dazu zu bekehren, ihre Ansichten zu ändern. Was die denken, hat praktisch keine Bedeutung, weder im Internet noch anderswo. Was alle anderen denken, ist jedoch von außerordentlicher Bedeutung.
Nizkor existiert, um jede Leugnung des Holocaust als den Betrug zu entlarven, der sie ist, und um die Leugner als die Scharlatane zu bloßzustellen, die sie sind. Es geht nicht darum, ihre Ansichten zu ändern. Indem wir die Leute über die unredlichen Techniken aufklären, die die Holocaust-Leugner anwenden, helfen wir ihnen, sich gegen diejenigen zu wappnen, deren politische Agenda mehr darauf abzielt, Hitler reinzuwaschen, als historische Forschung zu betreiben.

SPIEGEL Online:
In Deutschland werden die Behauptungen von Neonazis, die den Holocaust leugnen, als kriminell angesehen und strafrechtlich verfolgt. Im Internet und besonders in den USA gibt es eine starke Tendenz, die freie Meinungsäußerung gegen jede staatliche Einflußnahme zu verteidigen. Ihre Strategie, Lügen mit historischen Tatsachen zu konfrontieren, scheint vorauszusetzen, daß es Ihren Gegnern möglich ist, ihre Ansichten kundzutun. Teilen Sie die Bereitschaft, auch den Gegnern der Freiheit freie Meinungsäußerung zuzugestehen?


McVay:
Ja. Was würde es zum Beispiel für einen Vorteil bringen, wenn man diese Nazis in den Untergrund zwingen würde? Würde es sie daran hindern zu hassen? Hat es jemals den Haß beendet? Als ein Volk müssen wir damit beginnen, Verantwortung für unser Handeln und für unsere Probleme zu übernehmen, anstatt zu erwarten, daß eine Regierung das für uns tut. Kurz gesagt: Wir müssen lernen, unser Päckchen selbst zu tragen und unseren sozialen Problemen direkt ins Auge zu sehen.
McCarthy:
Da Zensur im Internet unmöglich ist, gibt es keine Alternative zur Redefreiheit.
Die letzten Aktionen der deutschen Regierung waren letztlich so etwas wie eine als Zensur maskierte Anprangerung. Diese "symbolische Zensur" trägt nicht dazu bei, die Leute davon abzuhalten, das scheußliche Material zu lesen. Ihre einzige Wirkung ist, dessen Sichtbarkeit zu verstärken. Ernst Zündel schrieb, nach aktuellen Berichten über "blockierte" Dokumente sei die Leserzahl des "Zündelsite" um 50 Prozent angestiegen, und die Zahl der Aufrufe von einzelnen Dokumente habe sich verdreifacht. Könnten sich die Nazis eine bessere Werbung wünschen? Sie sind völlig unbeeindruckt, und sie können sich jetzt das Märtyrergewand anlegen. Warum gibt ihnen die Regierung nicht gleich eine Million Mark für Werbezwecke?

SPIEGEL Online:
Gewinnen die rechten Extremisten in Nordamerika an Bedeutung und Macht?

McVay:
Ich glaube, sie gewinnen weder das eine noch das andere. Ich denke nur, sie sind stärker exponiert, weil unsere Medien, und insbesondere das Internet, es leicht gemacht haben, "die Nachricht unter die Leute zu bringen".

SPIEGEL Online:
Sie erhalten sehr oft Drohungen. Beeinträchtigt Sie das manchmal in Ihrer Entschlossenheit?

McVay:
Nein, es überzeugt mich davon, daß ich auf dem richtigen Weg bin. Darum nennen wir unsere "Ermutigungsseiten" "Ermutigungsseiten" und nicht "Drohungen".

SPIEGEL Online:
Bekommt Nizkor Unterstützung aus Deutschland?

McVay:
Indirekt ja. Wir unterhalten einen Mirror-Server in Deutschland. Ich frage mich oft, ob die deutsche Regierung deshalb gegen uns vorgehen wird - sie scheint zu glauben, daß man den Haß aus der Welt zensieren kann. Das erscheint mir ziemlich naiv.

McCarthy:
Das ist ein interessanter Punkt. Wir stellen viel von demselben Material zur Verfügung, das auch die Nazi-Apologeten verbreiten. Sicher, einige unserer Seiten enthalten Erwiderungen und Analysen, aber viele eben auch nicht: Viele sind identisch mit der ursprünglichen Nazi-Propaganda!
Wenn Nizkor eine Kopie des Leuchter-Reports archivieren will, wird uns dann die deutsche Regierung über die Schulter schauen und uns vorschreiben, was wir tun müssen, damit es legal ist? Werden wir gezwungen sein, in den Kopf jeder Seite zu schreiben: "Dies ist falsch"? Oder wird man unseren Server dichtmachen, Bußgelder verhängen oder Schlimmeres?
Ich denke, das ist ein ernstes Problem, mit dem man sich auseinandersetzen muß, bevor man feststellt, daß das Gesetz auf eine Weise angewendet werden muß, die nie beabsichtigt war.

McVay:
Wenn die Regierung wirklich etwas Gutes tun wollte, würde sie damit aufhören, im Netz ihrem eigenen Schwanz hinterherzujagen, und würde damit beginnen, ihre nationalen Archive zu digitalisieren. Die Regierung verfügt über Tonnen von unglaublich wertvollem Dokumentationsmaterial, das in Lagerhallen vergammelt. Wenn sie eine positive Rolle übernehmen würde, indem sie dieses Material der Allgemeinheit übergibt, könnte man den Holocaust-Leugnern den entscheidenden Schlag versetzen.
Ich wäre gerne bereit, die Arbeit zu übernehmen, wenn die deutsche Regierung davor zurückscheut. Alles was sie tun müßte, wäre, Nizkor sämtliche Mikrofilme zur Verfügung zu stellen, die sie hat. Wir würden diese dann digitalisieren und ins Netz stellen.

Das Interview führte Lorenz Lorenz-Meyer.

SPIEGEL ONLINE 43/1996 - Vervielfältigung mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags

© Birgit Pauli-Haack 1997