|
Neonazis Nizkor - Wir werden erinnern!
Von Lorenz Lorenz-Meyer
Ein kanadisches Online-Projekt zeigt, wie man sich ohne Zensur mit
Neonazis im Netz auseinandersetzen kann.
Meinungsfreiheit ist in vieler Hinsicht ein unbequemes Gut,
schützt sie doch die Ansicht des anderen genauso wie die eigene.
Manche Meinungen sind so extrem, daß daran gezweifelt werden kann,
ob man Menschen erlauben sollte, sie öffentlich zu vertreten. Keine
Freiheit für die Feinde der Freiheit, heißt ein Slogan, der
oft für eine wehrhafte Demokratie in Anspruch genommen wurde.
Aus der deutschen Geschichte ist es verständlich, daß
hierzulande das Überzeugungssystem, das dem Nazi-Regime zugrunde
gelegen hat, mit gesetzlichem Bann belegt ist. Der Schreck darüber,
mit welcher Vehemenz dieses menschenverachtende, von Unwahrheiten und
Widersprüchen strotzende Weltbild die Köpfe und Herzen der
Menschen ergriffen und vergiftet hatte, steckt immer noch vielen in den
Knochen.
Eine Erscheinungsweise, unter der nach dem Krieg das
neonationalsozialistische Gedankengut, nur unvollkommen maskiert, seine
Wiederkehr gefeiert hat, ist der sogenannte Revisionismus: Unter dem
Deckmantel einer Überprüfung arrivierter Historiker-Meinung
stellen die Revisionisten die Realität oder doch zumindest das
Ausmaß des Massenmords in Frage, den die Nazis an den Juden und
anderen gesellschaftlichen Gruppen verübten. Die revisionistischen
Thesen halten natürlich keiner wissenschaftlichen
Überprüfung stand - aber sie bilden, gerade in Zeiten
allgemeiner Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit, eine
Einstiegsdroge in eine Gedankenwelt voller Verschwörungstheorien
und Menschenhaß.
Der
Paragraph 130
des deutschen Strafgesetzbuchs stellt die Leugnung des Holocaust als
"Volksverhetzung" unter Strafe. Um der Wahrheit und des Gedenkens an die
Opfer willen soll in Deutschland niemand mehr ungeschützt der
Nazi-Hetze entgegentreten müssen. Keine Freiheit für die
Feinde der Freiheit.
II.
Doch durch die Globalisierung der Medien, insbesondere durch die
rasante Entwicklung des Internet, ist die deutsche Rechtsauffassung und
die ihr zugrundeliegende Intuition in letzter Zeit unter erheblichen
Streß geraten. Mit Hilfe der neuen Kommunikationsmedien ist
revisionistische Desinformation von Deutschland aus mit nur wenigen
Mausklicks auf den eigenen Bildschirm zu holen - oftmals aus
Ländern, in denen sie vollkommen legal in Umlauf gebracht wird,
weil es dort keine dem deutschen Volksverhetzungsparagraphen
entsprechenden Rechtsvorschriften gegen Haß-Propaganda gibt.
Die deutschen Staatsanwälte geraten ins Schleudern. Aufsehen
erregte beispielsweise der Fall der Mannheimer Staatsanwaltschaft, die
Anfang des Jahres den Online-Dienst der Deutschen Telekom, T-Online,
aufforderte, den Zugang zu den
Webseiten
des deutsch-kanadischen
Neonazis
Ernst Zündel zu blockieren. Abgesehen von den
üblichen technischen Problemen - einzelne Inhalte lassen sich aus
dem Informationsbestand, den ein Internet-Server anbietet, nur schlecht
herausfiltern - begegnete den deutschen Behörden auch ein
unerwarteter politischer Widerstand. Netzaktivisten, überwiegend
alles andere als Sympathisanten der Neonazi-Szene, stellten sich
schützend vor Zündel und spiegelten seine Webseiten auf ihren
Servern. Beispielsweise der Amerikaner
Declan McCullagh,
der jüngst
auch die inkriminierte Ausgabe 154 der deutschen Autonomenzeitschrift
Radikal unter seine Fittiche nahm. Die Aktion der
Staatsanwaltschaft verlief im Sande.
Freiheit für Rede und Ausdruck, hieß das Motto dieser
Gegenaktionen, und: Kampf der Zensur. Hier trifft das deutsche
Sicherheitsdenken, das dem Gespenst der Vergangenheit ein für alle
mal den gesetzlichen Riegel vorschieben möchte, auf ein ziemlich
konträres Demokratie- und Menschenrechtsverständnis, das vor
allem vom amerikanischen Individualismus geprägt ist: Maximale
Freiheit des einzelnen und so wenig wie möglich staatliche
Kontrolle werden angestrebt, politische Willensbildung soll im freien
Spiel der Kräfte entstehen. Für europäische Köpfe
ist diese 'libertäre' amerikanische Ideologie unvertraut und
oftmals schwer nachzuvollziehen. Die uns vertraute
Links-rechts-Bewertungsskala des politischen Feldes ist hier kaum
anwendbar.
Vorläufer und Vorbild für die aktuellen Konflikte war eine
Begebenheit aus dem Jahre 1979, als der berühmte amerikanische
Linguist, Philosoph und Bürgerrechtler
Noam Chomsky
sich für den französischen Revisionisten
Faurisson
einsetzte. Chomsky widersetzte sich eloquent allen Vorwürfen, er
ließe sich vor den Karren des Revisionismus spannen, und mit
bedenkenswerten Argumenten: "Es ist elementar, daß das Recht auf
Freiheit des Ausdrucks (einschließlich der akademischen Freiheit)
nicht auf Ansichten eingeschränkt werden darf, die man
befürwortet. Genau im Falle von Ansichten, die fast allgemein
verabscheut und verdammt werden, muß dieses Recht am
entschlossensten verteidigt werden", schrieb Chomsky damals in einem
Artikel in The Nation.
III.
Man kann den Gegner ruhig zu Wort kommen lassen, denn wenn man die
Wahrheit auf seiner Seite hat, werden Offenheit und Transparenz zur
Waffe. Dies ist die Einstellung, die auch dem wohl eindrucksvollsten
aktuellen Projekt zur Bekämpfung des Revisionismus zugrunde liegt:
Unter dem Titel "Nizkor",
hebräisch für "Wir werden erinnern", hat der Amerikaner
Ken McVay
das zur Zeit
weltweit größte Online-Archiv über den Holocaust
zusammengetragen. Er versteht seine Sammlung explizit als einen Fundus,
aus dem sich Gegner des Revisionismus bedienen können, um den
offenkundigen und weniger offenkundigen Geschichtsfälschungen der
Revisionisten mit überwältigender Faktenfülle
entgegentreten zu können.
McVay hat im Jahre 1992 mit seinem Projekt begonnen. Erschreckt und
verärgert über die zunehmende Präsenz rechtsextremen
Gedankenguts in den Online-Medien begann er seine Arbeit: Er trug
historische Quellen über den Holocaust und andere Materialien
zusammen und stellte sie ins Internet. Aus dem ursprünglichen
Ein-Mann-Betrieb ist inzwischen ein Netzwerk mit über 50
freiwilligen Helfern aus aller Welt geworden. Finanziert wird das
Projekt aus Spenden und über die wenigen Einkünfte, die McVay
aus Vorträgen und ähnlichen Aktivitäten bezieht. 1995
wurde Ken McVay für seine Arbeit der
"Order of British Columbia"
verliehen.
McVay und seine Helfer arbeiten neuerdings daran, die Texte aus
dem ursprünglichen FTP-Archiv
sehr professionell für das World
Wide Web aufzubereiten. Man bekommt bei Nizkor eine eindrucksvolle
Demonstration davon, wie hervorragend sich das Web eignet, um riesige
Wissensbestände ergonomisch perfekt zugänglich zu machen. Die
Konvertierungsarbeit
ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen.
Nizkor sei, so heißt es, "permanent im Aufbau".
Auch aus einem anderen Grund ist ein Ende des Projekts nicht
abzusehen. Das Archiv bei Nizkor dokumentiert neben den historischen
Ereignissen des Holocaust auch den aktuellen Zustand des Revisionismus
und seinen Personalbestand - man kann sich dort schnell einen
Überblick über die Verfechter und ihre Ideologie verschaffen.
Laufend werden die Biographien der Protagonisten und die Dokumentation
ihrer Aktivitäten, beispielsweise aus der Newsgroup
alt.revisionism, aktualisiert.
Nizkor verfolgt eine ganze Reihe von Zielen: Man will die historische
Forschung und Bildungsarbeit über den Holocaust befördern; man
will die revisionistische Szene beobachten und dokumentieren; man will
ihre Geschichtsfälschungen bloßstellen und widerlegen; man
will mit dieser Aufklärungsarbeit dazu beitragen, daß die
rechtsextreme Szene weiterhin isoliert und marginalisiert bleibt.
Nizkors Ziele wären kaum zu verwirklichen, wenn der Zugang zu
den rechtsextremen Inhalten von staatlicher Seite blockiert wäre.
Insofern setzt McVays Projekt eine 'libertäre' Grundeinstellung
voraus. Aber von einer zu liberalen oder gar versöhnlichen
Einstellung gegenüber seinen Gegnern gibt es keine Spur.
Entschlossen und geradlinig treten die Nizkor-Mitarbeiter den
Unbelehrbaren entgegen, und sie gönnen sich auch eine gewisse
Emotionalität: Zorn und Verachtung ist zu spüren, und nicht
selten werden die Gegner mit beißendem Spott bedacht.
Nizkor hat zweifellos Modellcharakter. Aber leider lassen sich
Souveränität und Mut nicht so ohne weiteres kopieren.
Original in SPIEGEL ONLINE 43/1996
- Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags
© Birgit Pauli-Haack 1997 Zuletzt geändert: 13. November 1997
|