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Jan Philipp Reemtsma über Gewalt im 20. Jahrhundert und die Verbrechen der Wehrmacht Das Interview Teil I
Herr Reemtsma, haben Sie gedient? Nein. Sie ahnen, warum wir so fragen? In der Logik von Kommißköppen haben Sie damit die Qualifikation, sich über die Wehrmacht zu äußern, grandios verfehlt. Mit solchen Einwänden können Sie leben? Ja, sicher. Es ist nicht möglich, sich mit bestimmten Formen der Kritik auseinanderzusetzen, die einfach indiskutabel sind. Zu dummen Anwürfen kann man keine intelligenten Repliken machen. Das ist der Vorteil, den manche Dummköpfe haben, weil sie dann mit ihren Sätzen unkommentiert bestehen können. So ist die Welt. Wie sieht es denn mit der Nützlichkeit von Reflexen aus? Haben Sie Herrn Gauweiler schon einen Präsentkorb nach München geschickt - in dialektischer Dankbarkeit für seine Reaktion? Ich habe die Sätze von Herrn Gauweiler in keiner Weise kommentiert und gedenke das auch nicht zu tun. Immerhin hat er Ihrer Ausstellung einen erhöhten Aufmerksamkeitswert verschafft, in München gab es mit 90 000 Besuchern einen Rekord. Das ist richtig. Und vielleicht verdrießt ihn das. Aber im Grunde ist das egal. Diese Ausstellung ist nicht darauf angelegt, jemanden zu ärgern, schon gar nicht, Krawall zu machen. Sie hat, wo immer sie hingekommen ist, Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wohl mehr als vergleichbare zeitgeschichtliche Ausstellungen. Deshalb ist sie bis 1999 ausgebucht. Ihr Mitarbeiter Hannes Heer, der aus rechtskonservativen Kreisen häufigster Adressat der Attacken gewesen ist, hat nach der Wehrmachtsdebatte im Bundestag gesagt: Wir haben erreicht, daß nicht mehr nur die Ermordung der europäischen Juden als Schuld von den Deutschen anerkannt wird, sondern auch die Schuld der bis dahin als sauber geltenden Wehrmacht. Das ist eine kühne These. Ich würde das gar nicht nur auf die Bundestagsdebatte beziehen. Entscheidend dürfte 1995 die Rede von Verteidigungsminister Rühe gewesen sein, in der er gesagt hat, daß die Wehrmacht aktiv bei den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt war und somit nicht zum Traditionsbestand der Bundeswehr gehören könne. Man muß sehen, daß sich tatsächlich etwas umgekehrt hat - verglichen etwa mit den 50er Jahren, wo die Männer des 20. Juli in weiten Kreisen als Vaterlandsverräter galten und die Wehrmacht Traditionsbestandteil war. Dazu hat die jahrelange Forschungs- und Aufklärungsarbeit einiger - nicht sehr vieler - Historiker beigetragen, und nun hat das Hamburger Institut auch einen Beitrag dazu geleistet. War die Aussprache im Bundestag Ihrer Ansicht nach qualitativ hochstehend? Es war zumindest eine Debatte, die sehr aus dem Rahmen fiel und die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von sehr großer Ernsthaftigkeit geprägt war und sehr weit auf Schablonen der Polemik verzichtet hat. Das ist eine gute Sache. Eindrucksvoll fanden wir die persönlichen Geschichten, die erzählt wurden. Das ist selten geworden im öffentlichen Raum. Das ist für die Analyse des gesamten Phänomens hochinteressant: Was ist da emotional in Gang gekommen, was hat sich verändert? Ich sehe die Wehrmachtsausstellung im Kontext mit zwei anderen medienwirksamen Ereignissen: der Publikation der Klemperer-Tagebücher und dem Buch von Goldhagen. Diese drei publizistischen Ereignisse haben etwas thematisiert, was in der elitenorientierten Geschichtsschreibung zu kurz kommen mußte, nämlich den Zusammenhang von Regime und Volksgemeinschaft. Wo das thematisiert wird, wird automatisch der familiäre Rahmen potentiell mitthematisiert. Wenn das passiert, steigt die emotionale Intensität der Auseinandersetzung, und diese fordert das Genre Geschichte. Im Bundestag ist genau das passiert, was man psychologisch erwarten durfte. Man wirft in eine kleine Gruppe ein private Emotionen betreffendes Thema, dann geht es ein wenig hin und her, dann kommt die Familiengeschichte, man fängt an zu erzählen. Im Bundestag ist eine klassische Gruppendynamik abgelaufen.
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© Birgit Pauli-Haack 1997