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Jan Philip Reemtsma
Keneth Kronenberg
Ken McVay & Jamie McCarthy

über's Projekt

Direkt-Link zur Ausstellung:
Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944
Die Skala des Scheußlichen ist nach unten offen

Jan Philipp Reemtsma über Gewalt im 20. Jahrhundert und die Verbrechen der Wehrmacht

Das Interview Teil II
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Das Gegenstück zum Erzählen ist das Schweigen. Sie haben bei der Eröffnung der Ausstellung in München gesagt, das Schweigen in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg sei gar nicht schlecht gewesen. Damit sei vermieden worden, daß wir die Erfolgsgeschichte des Ostfeldzuges erzählt bekommen haben.

Es gibt auch die Dialektik der Unvernunft oder der Amoral. Man muß sehen, daß dies wahrscheinlich die Bedingung dafür war, daß eine Veteranenkultur, wie sie in Österreich existiert, hier nicht zustande gekommen ist. Es hat in den 50er Jahren Versuche gegeben, das kann man schön bei Wolfgang Kraushaar als Protestchronik nachlesen, die gescheitert sind. Wahrscheinlich wären die nicht gescheitert ohne diesen Pakt des Schweigens. Daß dies auf der anderen Seite unmoralisch war, weil Verbrechen verleugnet und verschwiegen worden sind und weil viele Soldaten, mit dem was sie gesehen hatten, auch kein Forum fanden, um die Wahrheit über diesen Krieg zu erzählen, steht auf einem anderen Blatt. Aber es kann auch sein, daß etwas, was man mit guten Gründen kritisiert, positive Effekte hat.

Brechen im Umfeld der Ausstellung nun die alten Kameraden den Pakt des Schweigens. Hören wir also jetzt, verspätet, von den Heldentaten des Ostfeldzuges?

Ist mir nicht bekannt. Ich glaube, das würde selbst für den, der jetzt das Bedürfnis dazu hätte, wohl zuweit gehen. Das wäre zu deutlich der falsche Ort. Es sind sehr viele ehemalige Soldaten Besucher der Ausstellung. In Stuttgart hat ein 80jähriger Mann geschimpft: "Verleumdung", darauf dreht sich ein Mann im selben Alter um und meint: "Was rufst Du hier? Das hast Du doch genauso gesehen wie ich, Du weißt doch genau, daß das stimmt." Man mußte die beiden trennen. In dem Film von Ruth Beckermann "Jenseits des Krieges" sind Aufnahmen von Besuchern der Ausstellung in Wien zu sehen. Da sagt einer: "Ich weiß, daß es stimmt und ich erlebe wieder die Verleugnung, die ich aus der Zeit nach 1945 kenne, als ich mit meinen Kameraden darüber sprechen wollte, was ich im Krieg gesehen habe. Und jetzt passiert mir das wieder". Das ist eine ganz typische Sache. Das erleben wir auch in Briefen. Die Leute bieten uns Material an, es gibt persönliche Erzählungen. Ich habe kürzlich von jemandem einen Brief bekommen, der mir eine Geschichte aus dem Krieg erzählt. Ein Kamerad hat russische Kriegsgefangene erschossen und er hat ihn nicht gemeldet. Er bat um Verständnis dafür. Vorher habe es einen Partisanenüberfall gegeben (so jedenfalls seine Interpretation) und ein Freund von dem ist dabei getötet worden. Einerseits bittet er: Nimm doch mal zur Kenntnis, was dort vorgefallen ist und greif' uns nicht an, verstehe den doch! Wenn man die Psychologie von Kriegshandlungen begreift, weiß man, wie das funktioniert. Auf der anderen Seite aber ist das eine Geschichte, so nehme ich mal an, die sein Gewissen umtreibt. Dieser Kamerad, sein Untergebener, hat Kriegsgefangene erschossen. Das war Mord. Und er hat ihn nicht gemeldet. Es ist eine sehr merkwürdig schillernde Geschichte, die er da erzählt.

Gibt es in den Briefen, die Sie bekommen, einen Standard-Abwehrmechanismus?

Ich nehme an, daß im Zentrum der Abwehr der Satz steht: Kriege sind nunmal so. Interessanterweise haben wir diesen Satz hier in Hamburg nicht von einem Veteranen, sondern von einer Journalistin gehört, die das Gefühl hatte, wir bringen ihre pazifistische Position durcheinander, wenn wir Kriege differenzieren. Wir würden uns hinstellen und sagen, es gibt einen Unterschied zwischen dem Krieg, von dem die Ausstellung spricht, und anderen. Rechtfertigen wir dann nicht die anderen Kriege. Da gibt es so etwas wie eine Koalition des pazifistischen Affekts mit dem "Rettet die Wehrmacht", die beide in diesem Satz gerinnen können. Das ist interessant.

Es gab herbe Kritik an der Ausstellung. Welche Kritik in der Sache hat Sie am meisten getroffen?

Aus der Tatsache, daß wir an dieser Ausstellung nichts geändert haben, können Sie schließen, daß uns diese Kritik nicht getroffen hat. Es fing damit an, daß behauptet wurde, die Fotos seien möglicherweise gefälscht. Dazu ist kein Nachweis erbracht worden. Dieser Vorwurf ist dann fallengelassen worden. Der Rest der Polemik gegen die Ausstellung zeichnete von ihr ein falsches Bild. Wenn man nach der Polemik ginge, müßte man erwarten, in eine Ausstellung zu kommen, wo sehr große, überdimensionale Fotos schockieren und es kaum Text gibt. Es ist aber in erster Linie eine Textausstellung mit sehr kleinen Fotos. Was mich trifft, ist die Hartnäckigkeit, mit der ein falsches Bild dieser Ausstellung zur Grundlage einer Diskussion gemacht wird. Das geht bis zur Verteidigung der Ausstellung durch Rudolf Augstein im Spiegel , der sagt: die Leute wollen heute nicht mehr lesen, denen muß man Fotos zeigen. Museumspädagogen und Ausstellungspädagogen haben uns gesagt: Ihr seid ja verrückt geworden. Ihr könnt den Leuten nicht so viel Text zumuten. Ihr müßt die Fotos größer machen. Nein, die Leute sollten lesen und dann den Blick auf die Fotos richten. Und die Besucher verhalten sich größtenteils auch so. Die Polemik und zuweilen auch die Verteidigung bezieht sich auf eine Legende. Das ist das, was ich am störendsten empfinde.

In Frankfurt ist die Ausstellung in der Paulskirche zu sehen. Gibt es nicht "plausiblere" Orte, etwa das Haus Gallus, in dem in den 60er Jahren die Auschwitz-Prozesse geführt worden sind?

Wir haben nie besonderen Wert auf die Orte in den Städten gelegt, etwa Rathäuser oder Landtage. Es sollen welche sein, wo sich möglichst viele Leute diese Ausstellung anschauen können. Die Paulskirche ist selbstverständlich ein guter und richtiger Ort. Aber diese Symboliken sind mir nicht so wahnsinnig wichtig.

Die Paulskirche hat für das kollektive Gedächtnis einen hohen Symbolwert. Es steht für ein Stück Aufklärung in Deutschland. Aufklärung ist für Sie eine Selbstverpflichtung. In welchem Zusammenhang steht diese Maxime mit der Ausstellung?

Wenn ich von Aufklärung spreche, meine ich nicht die in Pädagogik hinein verkürzte Attitüde des Gemeinschaftskunde-Lehrers. Das sicher nicht. Was die Ausstellung angeht, sage ich sehr simpel: Man muß die historischen Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Man muß sich mit der historischen Wahrheit abfinden, alles andere ist nicht gut für den Verstand.

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© Birgit Pauli-Haack 1997