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Jan Philip Reemtsma
Keneth Kronenberg
Ken McVay & Jamie McCarthy

über's Projekt

Direkt-Link zur Ausstellung:
Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944
Die Skala des Scheußlichen ist nach unten offen

Jan Philipp Reemtsma über Gewalt im 20. Jahrhundert und die Verbrechen der Wehrmacht

Das Interview Teil II
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Stellen Sie sich auch nicht die Frage nach der Funktion der Intellektuellen?

Ich würde sie eher salopp beantworten.

Bitte . . .

Leute, die das soziale Privileg haben, ihr Geld mit Denken verdienen zu können. Die sollen das gefälligst gut und genau tun. So würde ich das beschreiben. Ich verdiene mein Geld nicht damit, ich gebe es dafür aus, das ist der einzige Unterschied.

Sie haben 1984 Ihr Institut gegründet. Wenn man Institut für Sozialforschung hört, fällt einem sofort das berühmte andere Institut in Frankfurt ein. War das ein Vorbild und Theodor W. Adorno eine Leitfigur für Sie?

Nein. Manchmal habe ich gedacht, es ist ein Fehler gewesen, es so genannt zu haben. Genannt habe ich es deshalb so, weil der Begriff Sozialforschung das am besten beschreibt, was hier gemacht wird. Es sollte nicht Soziologie oder Ökonomie, sondern schon der Versuch sein, die Gesellschaft und ihre Institutionen als Ganzes in den Blick zu nehmen und verschiedene Disziplinen zu vereinigen. Man kann sich ein solches Institut nicht zum Vorbild nehmen und schon gar nicht Individuen wie Adorno.

Sollten Intellektuelle oder Philosophen in der heutigen Zeit auch herrschen?

Ich bin nicht der Meinung, daß Intellektuellen als Intellektuellen eine besondere Rolle in der Politik zukommen müßte. Sie sollten sich nicht als Intellektuelle, sondern als Bürger in der Verantwortung fühlen. Und wenn sie in der politischen Debatte das, was sie aufgrund ihrer Privilegien mehr wissen, fruchtbar machen können - umso besser. Aber die Idee von Philosophenkönigen finde ich nicht sehr schätzenswert. Bei Platon hat man gesehen, was dabei herauskommt - in der Praxis wie in der politischen Theorie.

Das Buch und die Thesen Daniel Goldhagens haben viele sehr stark emotional aufweckt. Er behauptet, daß die Täter ihre Verbrechen begangen haben, weil sie sie für richtig hielten. Sie haben Goldhagen dialektisch ergänzt, indem Sie gesagt haben, die Täter hielten es für richtig, weil sie diese Taten getan hatten.

Das Interessante an der Rezeption Goldhagens in Deutschland ist zunächst diese einhellige Ablehnung durch die Zunft einerseits und der große Erfolg beim Publikum, dieses Auseinanderklaffen. Als Goldhagen sein Eingangsstatement hier in Hamburg machte, wurde mir deutlich, worum es bei diesem Öffentlichkeitserfolg ging. Er sagte: Wo es einen Massenmord in der Geschichte gibt, ist man überzeugt, daß die Täter davon ausgingen, daß es richtig war, was sie taten. Nur im Schrifttum über den Holocaust wird vorausgesetzt, daß die Täter das eigentlich nicht wollten, und sucht eine Erklärung, warum sie es doch getan haben. Warum? Ich hatte ein wenig das Gefühl, daß es im Publikum eine Erleichterung gab - jetzt sagt es endlich mal jemand. Das ist es doch, worum wir uns die ganze Zeit gedrückt haben. Dazu gehören auch die kommunikativen Strategien, in denen sich Täter darauf einigen konnten, daß das zwar schrecklich war, aber richtig und notwendig. Dazu gehört dann auch diese Psychologie, daß eine Tat begangen ist, der Mörder dennoch nicht als Mörder dastehen will. Es werden Bilder kaschiert, die Erinnerung wird manipuliert, um, obwohl man einen Mord begangen hat, hinterher nicht als Mörder dastehen zu müssen.

Das haben die Historiker vernachlässigt.

Interessant ist, Goldhagen-Debatte zweiter Teil, daß die Historiker sich mit der Psychologie der Täter vergleichweise wenig beschäftigt haben. Es bleibt ja ein interessantes Phänomen, auf das Goldhagen mit aller Vehemenz hingewiesen hat, daß es geschehen konnte, daß in Teilen der Geschichtsschreibung aus der Analyse des Holocaust der Antisemitismus verschwunden war. Das ist im Grunde eine bemerkenswerte Leistung. Mir haben die Lektüre von Goldhagen und die Debatte um sein Buch die Sinne geschärft für eher unscheinbare Textdetails. Wenn etwa die Erklärung einer bestimmten Tat von vornherein - ohne entsprechenden Beleg - unterstellt, der Täter habe sich zur Tat erst durchringen müssen. Nehmen Sie als Beispiel den Einsatz von Zwangsarbeitern in deutschen Unternehmen. Sehr oft wird so geschrieben, als sei die Entschlußbildung zum Zwangsarbeitereinsatz in irgendeinem Unternehmen ziemlich mühselig gewesen. Es gibt aber keine Belege dafür, daß das Thema im Vorstand oder im Aufsichtsrat kontrovers diskutiert wurde. Im Gegenteil. Dazu hätte es im Grunde des Buches von Goldhagen nicht bedürfen müssen, aber es hat viel bewirkt.

Es gibt Leute, die zählen schon die Tage bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Wie würden Sie dieses Jahrhundert charakterisieren und was meint in diesem Zusammenhang der von Ihnen verwendete Begriff des zivilisatorischen Minimums?

Was mich immer interessiert hat, ist die spezifische Form der Ratlosigkeit, die einen ergreift, wenn man auf dieses Jahrhundert zurückschaut. Die ist eine ganz andere, als für jemand, der auf das 19. Jahrhundert zurückblickt. Ich glaube nicht, daß der, der 1897 zurückgeblickt hat, das Gefühl hatte, daß er an diesem 19. Jahrhundert nicht sehr viel versteht. Dieses Gefühl der Ratlosigkeit, was wir am Ende dieses Jahrhunderts haben, hat entscheidend mit der Gewaltgeschichte zu tun: die Vorstellung der Eingrenzbarkeit von Gewalt ist in diesem Jahrhundert auf das gründlichste ruiniert worden - in Kriegen, in zivilen Massakern, in Terrorsystemen unterschiedlichster Art. In diesem Zusammenhang habe ich vom zivilisatorischen Minimum gesprochen, weil in verschiedenen Teilen dieser Welt Menschen damit konfrontiert worden sind, daß sie der Gewalt durch die simplen Strategien des Weglaufens oder Auswanderns, der Konversion oder des Aufgebens nicht entgehen konnten. Dies ist eine der Schockerfahrungen dieses Jahrhunderts.

Versetzt Sie dies, als jemand, der viel über Gewalt und Elend geforscht hat, in den Zustand der Verzweiflung?

Verzweiflung? Zur Aufklärung hat immer der Pessimismus gehört. Wenn Sie Phänomene extremer Gewalt analysieren, kommen Sie immer wieder an den Punkt, an dem Sie nicht mehr genau begreifen, was eigentlich vorgeht. Wenn man in die Details geht, haben Sie nur eine Gewißheit: das, was Sie finden, ist immer noch scheußlicher, als man es vorher angenommen hat. Die Skala des Scheußlichen, der Bosheit und Gemeinheit ist nach unten offen. Aber trotzdem rede ich, wenn ich das sage, nur über einen Teil der Welt. Wenn man bereit ist, ihn so wie er ist zur Kenntnis zu nehmen, hat man schon etwas dafür getan, daß er vielleicht nicht das letzte Wort, sagen wir: dieses Jahrhunderts bleibt.

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© Birgit Pauli-Haack 1997