|
Jan Philipp Reemtsma über Gewalt im 20. Jahrhundert und die Verbrechen der Wehrmacht Das Interview Teil II
Soll die Ausstellung auch Emotionen wachrufen, und wenn ja, was soll überwiegen: die Abscheu über den Täter oder das Mitleid mit dem Opfer? Das könnte ich nie voneinander trennen. Emotionen sind auch kognitive Instrumente. Wer vor solchen Darstellungen, nicht nur von den Fotos, sondern auch von den Texten nicht erschrickt, der begreift auch die Vorgänge nicht. Wenn man sich emotional von solchen Ereignissen abschottet, kann man sie auch intellektuell nicht erfassen. Insofern muß eine solche Ausstellung auch emotional berühren. Das kann nicht anders sein. Gibt es Bilder, die Sie besonders bewegt haben? Mich hat besonders etwas berührt, was ich bei der Vorbereitung der Ausstellung, bei der Auswahl der Bilder gesehen habe. Die Bilder sind zum Teil noch so in den Archiven gewesen, wie sie den Soldaten in der Kriegsgefangenschaft abgenommen worden sind, das heißt: in den Brieftaschen. Da gab es eine Brieftasche mit einer Bildersequenz. Da war zunächst ein Häuschen, ich weiß nicht wo, vielleicht im Schwäbischen, mit einem Familienfoto. Dann war da das Porträtfoto einer Frau, die nicht auf dem Familienfoto war, es könnte die Schwester gewesen sein, vielleicht auch die polnische Geliebte. Als nächstes war ein ganz typisches Bild, eine Idylle, ein Weiher mit Gänsen, Bäumen, dann war da eine zerschossene Stadt, ein langer staubiger Weg, in dessen Graben Leichen lagen. Und dann kam ein aufgehängtes Kind mit einem Schild mit kyrillischer Aufschrift, wahrscheinlich wurde das Kind als Plünderer denunziert, man drehte es noch so in die Kamera. Ich habe darüber nachgedacht, was das heißt, daß jemand diese Bildsequenz in seiner Brieftasche hat. Wir wissen nichts über die Intentionen dieser Fotografien, aber dieses Amalgam vom Häuslichen über die Idylle des Krieges bis zum aufgehängten Kind und die Notwendigkeit, daß der, der das Foto von zu Hause anschauen will, zurückblättern muß, das hatte für mich etwas Gespenstisches. Bei vielen Leuten steht ja im Vordergrund, wir wissen das aus Gesprächen, aber auch aus Eintragungen im Gästebuch, daß es häufig nicht das was die Fotos zeigen ist, was erschrecken macht, sondern der Umstand, daß es überhaupt fotografiert wurde. Wir wissen bei sehr vielen Fotos nicht, warum sie gemacht worden sind. Es gab einige Fotografen, die dokumentieren wollten, etwa den Fotografen Gronefeld, von dem dieses berühmte "Gnadenschuß"-Foto war. Wir wissen aber von den Aufschriften einiger Fotos auch, daß sie Trophäen gewesen sind wegen der zynischen Kommentare auf der Rückseite. Das zeigt noch einmal einen Barbarisierungsgrad von Teilen der Wehrmacht, der sich einem mitteilt, wenn man sich lange in der Ausstellung aufhält. Man schaut irgendwann wie der Soldat durch die Kamera und fragt sich: was hat der da getan, was hat der dabei gefühlt? Herr Reemtsma, wir zitieren Reemtsma: "Wer Gedenken zum Substitut des Gedächtnisses macht, verhüllt es." Welche Rolle spielen die Verbrechen der Wehrmacht von nun an im kollektiven Gedächtnis? Es ist im Grunde zu früh, das zu beantworten. Die Ausstellung ist ja durch den Erfolg, durch die politischen Debatten um sie selber zum zeitgeschichtlichen Ereignis geworden, das der Analyse und der Auswertung bedarf. Wir haben deshalb Interviews gemacht, wir haben die Gästebücher, es gibt Videobänder. Man muß das analysieren. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man nur sagen: Sie hat wie ein Reiz gewirkt, der Geschichten zum Vorschein bringt, die abgekapselt waren, weggedrängt, verleugnet. Manchmal bedarf es eines solchen Reizes von außen nicht. Nehmen Sie Paul Feyerabend, der seine Autobiographie auf seinem Totenbett schreibt, da kommen ihm auf einmal zwei drastische Erlebnisse aus dem Rückzug aus Rußland über die Ermordung von Zivilisten, die in dem vorherigen Erzählen über sein Leben keine Rolle spielten, ins Gedächtnis, aber dann doch aufgeschrieben werden mußten. Und so etwas scheint diese Ausstellung hierzulande anzustoßen. Was mit solchen Erinnerungen langfristig wird, das weiß man nicht. Viele können dann auch wieder vergessen werden. Die Formel "Wider das Vergessen" taugt als Formel nicht viel. Genauso wenig, wie Gedenkrituale per se viel taugen. Es gehört zu manchen Geschichten, daß sie auch vergessen werden können. Damit sie nicht vergessen werden, haben Intellektuelle eine große Aufgabe - die Aktualisierung des kollektiven Gedächtnisses. Wie sehen Sie sich selbst als Intellektueller? Keine Ahnung. Diese Frage stelle ich mir nicht.
|
© Birgit Pauli-Haack 1997