kleiner Logo: Shoah Project

















über's Projekt
der artikel
die gegenwehr?
das interview
update 1.1
6. Februar 1997
Der Artikel erschient erstmals im wildpark - Magazin im Frühjahr 1996.
(eingestellt im Sommer 1997)

... free speech for nazis?

Wildpark sprach mit ...
Michel Friedmann
(Zentralrat der Juden Deutschland)
Andy Mueller-Maguhn
(Chaos-Computer-Club)


Wie beurteilen Sie die Präsenz von Neo-Nazis im Internet?

Michel Friedmann: Nazis sind menschenverachtend und gewaltbereit, deswegen ist ihre Propaganda gefährlich. Es gilt auch im Internet, dies mit der freiheitlich - demokratischen Grundordnung zu verhindern.

Andy Mueller-Maguhn: Das Internet spiegelt in der Gesamtheit sozusagen das wirkliche Leben wieder. Da die Verirrungen der menschlichen Zivilisation in der Gesamtheit unendlich sind, finden sich im Netz, wie im wirklichen Leben, Neo-Nazis, Sekten, pornographische Darstellungen und jede Menge Unsinn. Allerdings stellt das Internet sozusagen einen globalen Pool dar, wo alle möglichen Ideologien zusammen kommen, ohne Einschränkungen durch staatliche Zensurmaßnahmen. Diese globale Ausdehnung des amerikanischen "Freedom of Speech" stößt daher in verschiedenen Ländern auf Probleme, wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und Deutschland. In Amerika verbietet man nicht Leute, die Ausschwitz leugnen, sondern toleriert sie als Spinner oder - bestenfalls - argumentiert mit ihnen. Die Entwicklung einer Streitkultur in Deutschland scheint mir wichtiger als die Verhinderung von Streit durch das Aussperren entsprechend "anstößiger" Materialien. Da Neo-Nazis im Internet einen verschwindend geringen Anteil an den angebotenen Informationen einnehmen, glaube ich mit diesem Problem konstruktiv umgehen zu können.

Welche persönlichen Erfahrungswerte haben Sie mit Neo-Nazis in Datennetzen?

Michel Friedmann: Neo-Nazis versuchen, mit modernster Kommunikation anonym ihr Gedankengut zu vertreiben. Ich habe solche Propaganda gesehen und halte sie für gefährlich.

Andy Mueller-Maguhn: Schon zu den Zeiten der Mailbox-Netzwerke gab es in dem Sinne "gute" Erfahrungen mit Nazis, als daß sie sich zwangsläufig den Gegebenheiten des Mediums anpaßen mußten. So stellte es kein Problem dar, wenn geistig Verwirrte - wie Neonazis und anderen Anhänger irrationaler Ideologien - in Nachrichtenforen Parolen, beleidigende Texte oder Aufrufe zur Minderheitenverfolgung zu verbreiten versuchten. Denn im Netzwerk werden sie sehr schnell nach Argumenten gefragt , wenn sie jemanden überzeugen wollen. Dort ist es nicht möglich, Anhängern anderer Meinung die Meinungsfreiheit durch physische Gewalt oder Brandsätze zu behindern. In die Diskussion gedrängt, gehen diesen Leuten jedoch sehr schnell die Argumente aus, so daß sie sich schnell wieder zurückziehen. Daher kann man im allgemeinen von guten bis sehr guten Erfahrungen reden, gerade im Bezug auf die Entwicklung einer Streitkultur. In Ausnahmefällen war es natürlich schon notwendig, bestimmte Texte ohne Diskussion aus dem Netzwerk zu entfernen, beispielsweise bei offen rassistischen oder sexistischen Äußerungen oder Aufrufen zu Straftaten. Dieses Vorgehen (Entfernen von Nachrichten) ist durch die Netiquette (gemeinsames Regelwerk der Netzgemeinde) bereits seit vielen Jahren gedeckt.

Laut Manfred Kanther wird das Internet voraussichtlich zum "zentralen Medium des internationalen Informations-austausch", deswegen sei es wichtig, daß das Datennetz nicht durch Mißbrauch diskreditiert wird. Wie kann man diesen Mißbrauch unterbinden?

Michel Friedmann: In einer freien Gesellschaft muß immer wieder zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Persönlichkeitsrecht von Individuen abgewogen werden. Hier müssen entsprechende Schutzmaßnahmen diskutiert und entschieden werden.

Andy Mueller-Maguhn: Das hängt davon ab, was man unter dem Begriff "Mißbrauch" versteht. Für mich stellt die Entwicklung globaler Diskussionen und die Auseinandersetzung mit Extrempositionen keinen Mißbrauch dar. Mißbrauch wäre es, wenn Regierungen von Nationalstaaten oder Staatenverbunden anfingen, diesen globalen öffentlichen Raum zum Zwecke der nationalstaatlichen Machterhaltung oder der Errichtung wirtschaftlicher Strukturen einschränken würden. Für mich steht die Vision von globalen Datenbürgersteigen und eines weltumfassenden öffentlichen Raumes, auf denen Diskussionen und Auseinandersetzungen genauso wie der Austausch von wirtschaftlich relevanten Informationen und die Anbahnung von Geschäften stattfinden können.

Befürworten Sie die Zensur der Meinungsfreiheit, wenn diese für die Leugnung des Holocausts benutzt wird?

Michel Fiedmann: Es ist nicht eine Zensurmaßnahme, wenn die Leugnung des Holocausts unter Strafe gestellt wird. Dies ist Bestandteil des Strafgesetzbuches und, wie ich finde, zurecht.

Andy Mueller-Maguhn: Ich befürworte eine solche Zensur nicht, da ich sie nicht für Sinnvoll halte. Der Leugnung des Holocausts kann nur durch die Offenlegung von Informationen und Fakten über die dort geschehenen Morde etwas entgegengesetzt werden, nicht durch das Verbot von Texten, die das leugnen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist wichtiger als eine moralhygienische Zensur - nur dadurch entzieht man derartigen Wiederlichkeiten den Nährboden.

Die Natur des Internet bedingt, daß sich die Jurisprudenz oft als Sackgasse erweist. Unterstützen Sie die Aktionen innerhalb des Internets, wie das Mailbomben von E-mail Accounts oder Web-Server, die Nazi- Propaganda anbieten?

Michel Friedmann: Ja.

Andy Mueller-Maguhn: Wie schon erläutert, gebe ich in erster Linie einer Streitkultur den Vorzug. Die genannten Mittel werden eingesetzt, wenn sich jemand nicht an die gemeinsamen Regeln hält, die eine Streitkultur benötigt. Und dies ist im Netz nicht so häufig der Fall, hier sind meistens kommerzielle Ausfälle (wie das Vollmüllen von Newsgroups mit Werbeschriften oder das massenweise Versenden von Werbe-Mails) problematisch. Die Anbieter von Nazi-Propaganda sind sich dieser Regeln meistens bewußt und betätigen sich daher meistens als passiver Informationsanbieter (auf Abfrage), weil sie genau wissen welchen Ärger im Netz sie sich sonst einhandeln.

Unternimmt der Zentralrat der Juden in Deutschland bzw. der Chaos Computer Club etwas gegen Nazis in Datennetzen?

Michel Fiedmann: Der Zentralrat versucht, in Gesprächen mit der Politik, Industrie, Usern und Staatsanwälten eine Sensibilisierung zu erreichen.

Andy Mueller-Maguhn: Der Chaos Computer Club setzt sich für ein Menschenrecht aus freiem und ungehindertem Informationsaustausch ein. Und im gewissen Sinne ist genau dies eine Maßnahme gegen Nazis in jedweder Form. Denn durch die Schaffung von mehr Kommunikation zwischen den Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen etc. entsteht auch ein mehr an Verständniss für die Besonderheiten und Probleme. Dadurch wird eine aktive Hemmschwelle gegen Gewalt und Ausgrenzung gesetzt und außerdem eine Möglichkeit des grenzüberschreitenden Austausches geschaffen.


Joerg Koch

Der Autor trägt eine Kappe mit einer eingestickten roten Faust und mag Nazis nicht.


Seitenanfang

© Copyright Pixelpark 1996
Layout: Birgit Pauli-Haack 1997